April 13, 2023Keine Kommentare

230413

Ein Quartal in Fotos.

Read more

Oktober 15, 2020Keine Kommentare

201015

16

Plattentektonik VI

Es gibt manches zu dem es sich ruhigen Gewissens lohnt zurückzukehren. Große Schritte der vergangenen Jahre in ungeordneter Reihenfolge: das Ablegen der Alter Egos und Annehmen des eigenen Namens, von in dichter, massiver Fiktion gebetteten verarbeiteten Eindrücken zu dem puren Beschreiben von Leichterem. Ein Nachzeichnen von Licht, ein Abkehren vom Schreiben als Du, dann ein Schreiben hin zum Ich. Und jetzt ein Zurückkehren zum Du. Genau das ist es dann aber, dieses Weiterschreiben, das Sehen, das Lernen des Sehens alter Dinge, eingestaubter. Das Aufschreiben von Gedanken, das Beschreiben, sich Erinnern-Wollen der Worte, die Andere vergessen festzuhalten. Die legst du stattdessen in eine Schale, eine aus Papier oder Pixeln, sodass sie sich lesenden Augen zuneigen können wie die Pflanzen auf dem Fensterbrett zur Sonne.
„Methodik“ des Schreibens. Aber auch du musst warm werden, üben, das ist wie beim Illustrieren oder Musizieren. Ist es dann aber die Hand, die du warm schreiben musst oder ist es das Hineindenken oder Hineinfühlen in die Lage? Gelegentlich will es einfach nicht, dann schmeißt du Papier durch die Gegend, gehst eine Runde, atmest durch und lässt einfach wieder geschehen. Vielleicht ist das der Unterschied.

Vielleicht ist ein weiterer Unterschied, was genau beschrieben werden soll. Wie viel Knausgård kann jemals in dir anspringen? Wie ist es mit der Sicht nach draußen, durch wie viele und welche Schichten siehst du? Sind da zwei alte Flügelfenster mit starren Griffen, bei denen es lohnt, sie bald in Terpentin einzulegen und die es mit einigermaßen Aufwand aufzumachen gilt oder braucht es nur den Plastikfenstergriff, dessen Quietschen sich nachts durch die Innenhöfe lärmt?Das Trennen von Werk und Schreibenden. Wie sehr ist das überhaupt möglich, wenn Sprache viel, wenn nicht gar das Meiste, von dem formt, was ist. Was „man“, „ich“ ist? Wie sehr formt das, was an Worten in dir ist, in welcher Sprache auch immer, das, was du bist? Folgt die Sprache dem Charakter oder ist es umgekehrt?

Der Wurf zum Schreiben hin als Wurf zum Verstehen.

Was hat dir das Gehen durch Krankenhäuser gefehlt. MNS mindestens, sonst OP-Masken überall. Du lächelst Andere mit deinen Augen an, über dem einen Eingang klebt noch RUHE BITTE über der Glastür, ausgedruckt als je ein Buchstabe pro DIN A4 Blatt. Teilweise stehen die Türen offen für Fachgespräche der Radiologie. Denken an den Dozenten mit den Büsten im Raum auf dem anderen Campus und wie er, während die Vorlesung zu Notfall- und Katastrophenmedizin lief, leise hinter den Vortragenden zu seinem ein wenig schief stehenden Schrank ging und sich seine Kleidung herausholte. Nur um in voller Fahrradfahrermontur in die winterliche Dunkelheit zu verschwinden.
Immer und immer wieder der Wunsch nach dem Beginnen, nach guter Lehre. Das Sich-Selbst-Motivieren als Gang in Bibliotheken, als das Sitzen an Schreibtischen, als das Gedanken-Verloren-Sein und Starren darauf, wie Licht durch die Souterrainfenster fällt und an den teilweise leeren Metallregalen durch den nach Druckerzeugnissen unterschiedlichen Alters riechenden Raum wandert.
Dein Blick wandert zuhause zwischen Bildschirm, dem kleinen Spiegel hinter dem Bildschirm, der dir erlaubt, dir in die Augen zu sehen, und einem kleinen Zettel, auf dem „DON’T SELF-SABOTAGE“ in roter Schrift geschrieben ist, hin und her.

Es wird Winter, Skizzenbuch-Zeit. Sich freischreiben, festschreiben, freizeichnen, festzeichnen und den Finger auf den wunden Punkt legen. Du bist mehr Stargate als Maneater, noch immer.

alt-J - Hunger of the Pine

Oktober 8, 2018Keine Kommentare

181009

Neunter September

Südbahn Tempelhofer Feld, 17:45
Die Tonne brennt, Grillkohle und Feuerwehr. Ich stehe und rolle auf einem Brett, nachdem ich jahrelang Gleichgewichtsprobleme hatte.
Wir hören mehrere Schüsse am Neuköllner Ende des Feldes, sind überrascht und denken an Schreckschusspistolen - L, M und ich schauen einander fragend an. Mehrere Menschen schreien, die Halbstarken von Gegenüber fahren mit Fahrrädern hin, "ey, lass mal glotzen" schreiend. Ich scrolle durch Twitter. Martinshorn, viel.

Hauptbahnhof, 19:33
Warte darauf, J in die Arme zu nehmen. Der ICE fährt ein, nach ein paar Momenten laufe ich ihr entgegen.

Zehnter September

Kantstraße, 15:40
J und ich stehen vor einer altertümlichen Auslage. Große Parfumflaschen und Plastikblumen. Vor lauter verschiedenen starken Gerüchen brennt es mir die Geruchsrezeptoren weg.

Elfter September

Tiergarten-Süd, 12:10
Mir ist schummrig und ich will nur noch liegen. Der Wunsch danach, dass manches, das nicht werden will, wird, dass das was nicht wurde, trotzdem wird.

Zwölfter September

Tiergarten-Süd, 11:11
J ist auf dem Weg zurück und ich weiß nicht genau, wie ich helfen kann.

Dreizehnter September

Tiergarten-Süd, 17:12
In der Badewanne liegen mit Schüttelfrost, Fieber. Nicht konzentrieren können.

Vierzehnter September

Motzstraße, 12:10
Wartezimmerblues, das erste Mal Blutdruck im Normalbereich seit ich hier Patientin bin. Irgendetwas von Mattigkeit, grippalem Infekt, fühle mich wie mit Männergrippe.

Tiergarten-Süd, 22:40
Finger will ich aufs Philtrum legen oder auf die Kuhlen über und zwischen Schlüsselbeinen, Etwas entlangfahren mit meinen Fingerkuppen, so sanft wie über die ersten Kastanien des Jahres, ich glaube, es wird Herbst. Verpasse alles, liege stattdessen im Bett.

Fünfzehnter September

U3 Wittenbergplatz, 13:22
Ruckeln, warten aufs Aussteigen, ich stelle mich passend vor die Tür. An meinem Rücken bemerke ich, dass es wärmer wird und ich drehe meinen Kopf. Ein Mann, der mich, seit ich eingestiegen bin, beobachtet hat, steht viel zu dicht und unnötig hinter mir, der Waggon ist sonst leer. Traue mich nicht etwas zu sagen, die U-Bahn fährt in den Bahnhof ein, ich muss zum Kurfürstendamm, zu langsam; ein Gefühl der Bedrohung, mir ist etwas schwindelig vom Infekt.
Kurz bevor die U3 steht, spüre ich von dem Mann hinter mir etwas auf Höhe meiner Lendengrube, eine Beule. Ekel. Die Tür geht auf, ich renne fast zur U2 auf dem Gleis gegenüber. Mir ist schlecht.

Sechzehnter September

Leipziger Straße, 13:13
Die Straßen leer nachdem die Marathonläufer abgebogen sind. Eine Mischung aus post-apokalyptischem Szenario und Ruhe. Das Geräusch von hunderten Läufern im gleichen Bereich auf Asphalt. Alles ruhig.

Potsdamer Straße, 13:52
Weniger Läufer als vor zwei Stunden, nur noch ein bisschen mehr als eine Spur belegt. Am Straßenrand sitzen Zuschauer und singen laut zu "Jenny from the Block" mit.

Siebzehnter September

Magdeburger Platz, 09:45
Wir in der WG haben zu viel Altglas angesammelt.

Tiergarten-Süd, 16:28
Angeblich hat ein Metzger in der Potsdamer Straße den Kassler erfunden, Samuel Fischer traf Besucher an der Ecke zur Bülowstraße, Rowohlt war am Landwehrkanal.
Manchmal fast überfahren in Gedanken vom Wissen um die Füße, die vor Jahrzehnten die gleichen Wege frequentiert haben. Mir fehlt die Neue Nationalgalerie, dieses Bauwerk von Mies hat mich mit seiner Haupthalle gelegentlich traurig, meist aber sehr ruhig gemacht.
Sehe Arbeiten von David Chipperfields Studio und erkenne sie als solche.

Neunzehnter September

Kurfürstendamm, 14:17
Sich übernehmen und den Körper nicht richtig einschätzen können, mir ist schummrig. Ich glaube, ich will mich hinlegen.

Zwanzigster September

Tiergarten-Süd, 22:26
Der Mann, der im Innenhof so komisch widerlich beim Husten zu hören ist, arbeitet am Flughafen Tegel auf dem Rollfeld. Als würde er allen Belag in seinem Mundraum nach außen spülen müssen.

Zweiundzwanzigster September

Tiergarten-Süd, 14:32
Zynismus ist der ultimative Dealbreaker.
Meine Stimme erinnert mich an das Gefühl, das man hat, wenn man mit den Fingernägeln über die feinen Metallgemüseraspeln fährt.

Sechsundzwanzigster September

Okerstraße, 15:00
Die Kreuzung weiter vorn, Bierstuben Eck an Eck, Brockhaus im Taschenbuchformat unten; Bordsteinkanten und riesige Zwischenräume neben Pflastersteinen. E schiebt und ich laufe halb bewundernd, halb entspannt daneben und frage mich, ob sie zur Ruhe kommt.
Ich mag die Gegend mehr als ich möchte, immer noch, dabei habe ich es vor einiger Zeit nur geschafft, nachdenklich aus den Rollberg-Kinos gen U8 zu taumeln.

Siebenundzwanzigster September

Tiergarten-Süd, 13:50
Der Mann am Versorgungskasten starrt mir Löcher in den Körper, eine Art Intermezzo, so als hätte man sich schonmal irgendwo gesehen und gekannt. 

U Wittenbergplatz, 14:09
In der Sonne sitzen und stricken, im Doppelpack.

Alexanderplatz, 15:10
Irgendein Markt, der ans Oktoberfest erinnern soll, aber eigentlich nur die Fortführung des ganzjährigen Weihnachtsmarktes darstellt, füllt den Platz. Er ist ähnlich freundlich wie die Person an der Kaufhof-Kasse, die nur die Leute freundlich behandelt, die überteuerten „edlen“ Alkohol kaufen. Überall der gleiche Name.

Achtundzwanzigster September

Gropius-Bau, 12:47
An dem Sockel bei den Stufen renken sich E und ich ein, sie ihre Hüfte, ich meine Lendenwirbelsäule. E sagt, ich könnte mich sehr weit nach hinten strecken, ich denke an den schwedischen Mathematiker, den ich in Dresden kennengelernt habe, der mir vom Brückenbauen und Analysis erzählt hat. Mir fällt keine Funktion für meinen Rücken ein.

Neunundzwanzigster September

PalaisPopulaire, 15:18
Eine Mischung aus zu eng und zu weitläufig. Leute, die vor Zeichnungen stehenbleiben, direkt davor, das Telefon zum Schreiben via Messengerdienst in der Hand. Dabei wollte ich doch nur Hanne Darboven sehen.

Dreißigster September

Tiergarten-Süd, 00:07
Die Blasey-Ford-Kavanaugh-Anhörung triggert Emotionen, von denen ich nicht wusste, dass sie immer noch so sehr mit Wut verbunden sind. Doppelstandards, Ohnmacht und Rage; mein Unverständnis, dass vieles als "boys will be boys" entschuldigt wird - sich daran erinnern, wie es war, von einem sexuellen Übergriff, den ich zum Glück unversehrt überstanden habe, zu erzählen, ohne, dass die Person, mein damaliger Therapeut, mir geglaubt hat. Sich dann daran erinnern, wie ich direkt danach war, wie alle, die mich sahen, im Nachgang sagten, sie hätten mich noch nie so erlebt.
Dann, von Fremden, die Fragen: wieso warst du auch alleine auf dem Bahnsteig, wieso warst du nicht dort, wo die Kameraüberwachung war, wieso hast du nicht geschrien? Und die unverschämteste Frage: wenn es so schlimm war, wieso hast du dich nicht gewehrt?
Als wäre mein Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung etwas, für das es für Fremde im öffentlichen Raum einen Verhandlungsspielraum geben würde. Als müsste man immer wieder Leuten erklären, wie unterschiedlich sich Trauma äußert. Als müsste ich mich überhaupt dafür rechtfertigen, dass ich nicht von Fremden auf dem Weg wohinauchimmer wannauchimmer zwischen meinen Beinen oder sonstwo angefasst werden will.

Erster Oktober

Mitte, 12:14
An einem Experiment teilnehmen, bei dem zur Ablenkung Kayak-Herstellungsvideos gezeigt werden. Bei der Fahrt zum Hauptbahnhof eines der herzzerreißendsten Gespräche seit längerer Zeit haben. Die Frage danach, wieso Menschen sich schön fühlen und wieso sie es gelegentlich oder öfter oder nie tun.

Dritter Oktober

Mitte, 22:02
In einem Bad in Mitte stehen und dem Feuerwerk für die Einheitsfeier zuhören. Ein paar wenige Kilometer entfernt der Verlauf der früheren Mauer.

Vierter Oktober

U Bismarckstraße, 20:47
Die einzigen Momente, bei denen ich Farbe im Gesicht habe, sind die nach dem Saunabesuch. Halb rosé angelaufenes Gesicht vor grünen Kacheln; es schreit nach mir, eigentlich schreit es auch ein bisschen nach dir, auch wenn ich nicht weiß, wo du eigentlich hin verschwunden bist. Mir ist nach gedünstetem Gemüse.

Sechster Oktober

City-West, 19:45
T berichtet vom Arinc-Standard in Flugzeugen und von Datenübertragungsraten. Riesige Aluminiumstrukturen im Himmel mit mittelalterlich anmutenden Technologien an Bord, direkt neben mega leistungsfähigen Computern in Smartphoneform. Wir schauen uns Luftbilder von Landebahnen verschiedener Flughäfen an.

Ebenda, 23:55
Manche erzählen von verschwendeter Zeit und wie sie ähnlich loyal geblieben sind in alledem. Mein persönliches "muss einen Tritt finden in meiner Zeitplanung." Kavanaugh zum Richter im Supreme Court gewählt und ich kann nicht aufhören wütend zu sein.

Siebter September

S Hermannstraße, 19:45
Das nennt man dann also das Beginnen als Ateliergemeinschaft oder Kollektiv. Die S-Bahn wie eine Schneise schlagende Schlange.

Achter Oktober

Tiergarten-Süd, 13:07
Seit ich Weißensee den Rücken gekehrt habe, zeichne und probiere ich mehr aus als in den letzten zwei Jahren zusammengenommen. Vorhandene Strukturen als Amboss, der über einem schwebt. Als hätte ich mir selbst diesen Amboss abgenommen. Ich will nicht aufhören mich auszutesten.

"I'm gonna keep rolling on"
(Curtis Harding - On and On)

September 8, 2018Keine Kommentare

180908

Zwölfter August

Tiergarten-Süd, 06:27
Bettflucht nach dem Vorabend. Finde Bilder, die ich nach dem Zuhause ankommen gemacht habe. Zeichne also Zellen mit und ohne Mikrovilli, wenn ich angetrunken bin. Nur der Golgi-Apparat sieht wie der lieblose Versuch eines Hundehaufens aus.

Neunzehnter August

Tiergarten-Süd, 21:14
Immer wenn ich Sehnsucht habe, beginnt mein Hirn auf Schwedisch zu denken. Ob es hilft „förlåt dig själv“ zu sagen?

Vierundzwanzigster August

Friedrichstraße, 17:30
Häuser von Pierre Koenig im Kopf. Stahl und Glas, Flachbau, Ausblick. Mehr als Quadrate, dann irgendetwas von Sibylle Berg, Meyerhoff und Teju Cole.

Siebenundzwanzigster August

Café Dix, 11:30
Berlinische Galerie und ich schaffe es nicht, nicht wütend zu sein, mich nicht zu schämen wegen meines Herkunftsbundeslandes.
E sagt „you’re a yummy pie, who wouldn’t want to have a piece of you“ und sie lacht dabei.

Achtundzwanzigster August

Gedenkstätte Deutscher Widerstand, 14:39
Bilder von Menschen, die Fremden, Bekannten oder Freunden beim Unterschlupf geholfen oder ihnen einen gegeben haben. Und ein paar hundert Kilometer weiter südlich haben sie Menschen durch die Straßen gejagt.

Neunundzwanzigster August

Tempelhofer Feld, 18:53
Wespen versus Naturradler. Die Südbahn hat mehr Läufer in meinem Tempo, Schnecke. Barfuss, Stroh in Kleinstteilen an meinen Socken.

Am Luftgarten, 20:19
Als würde der Himmel, dunkel, Sonnenuntergang, sich durch die Häuser bohren wie ein Sandsturm.
Panikattacke als Erinnerung an das, was ich vor Jahren hinter mir gelassen habe.

Einunddreißigster August

Sächsische Landesvertretung, 14:24
Zu sagen ich bin wütend ist eine Untertreibung. Im Teil einer Straße sein, in der man im Prinzip eingekesselt ist.

Ebenda, 15:17
Ein Mann mit Deutschlandfahne brüllt in die Redebeiträge der Demo, steht hinter den Polizeibussen. Manche schauen sehr panisch hinter uns alle, die Fotografen rennen. Ich glaube, ich habe Angst gesehen.
Dann erinnere ich mich an den Tag in Dresden, an dem Neonazis Pflastersteine nach mir und weiteren Passanten warfen, die Polizei untätig daneben.

Jungfernbrücke, 15:51
Um die Ecke der Landesvertretung ein alter DDR-Bau, ein paar Meter weiter der Kupfergraben. Zwei schwer bewaffnete Polizisten schauen einem Paar beim Angeln zu. Ein Fisch wird aus dem Wasser gezogen, die Polizisten direkt daneben, als würde gerade ein Schatz gehoben. So stehen sie mehrere Minuten da, die Anglerin lacht unentwegt, ich stehe gegenüber, auf der anderen Seite des Kanals.

Friedrichstraße, 16:30
Ich sortiere LPs, die ich mag, grundsätzlich innerhalb ihres Fachs nach vorne. Vinyl-Guerilla. Bis heute lange nicht mehr wegen eines Liedes auf Anhieb geweint. Dreams can be so cruel sometimes.

Erster September

St. Paulus Kirche, 15:30
Das Brautpaar und meine Freunde und ich, im Slav Squat auf den Stufen vor der Kirche, der Priester macht mit. Danach stehen wir natürlich nochmal brav.

BrewDog, 22:13
Fremde Augen beißen sich am Tresen in mein Gesicht hinein, ich warte auf etwas anderes. Mein Telefon bleibt dunkel.

Vierter September

Tiergarten-Süd, 07:12
Ein Traum, verquer. Eingeschlafen zu Podcasts, aufgewacht, nachdem in meinem Traum ein Hubschrauber mit seiner Kufe am Atomium hängengeblieben ist. Es kippt um. Bin bisher weder in Brüssel gewesen noch habe ich in einem Hubschrauber gesessen.

Fünfter September

Kurfürstendamm, 14:21
Das Buch mit den sechshundert Seiten bewegt Menschen dazu, offensiv ihre Hälse zu renken, zu nicken. Manchmal wollen sie den Titel sehen und fragen danach, weil sie ihn wegen meiner Hand nicht lesen können. Bin verwundert, dass Genetik Leute so zu interessieren scheint.

Sechster September

Mitte/Kreuzberg - 18:17
Im Park so lange auf der Bank sitzen und lesen bis es zu dunkel ist. Dann so richtig einatmen.

Siebter September

Potsdamer Straße, 20:34
Mein Kiez ist sehr rau, denke ich, irgendetwas zwischen Schmirgelpapier und Kärcher. Dann ein Mann in Lederjacke, groß und stämmig, der auf einmal laut „I Wanna Dance With Somebody“ singt. Presse in meinem Kopf „Joy as an Act of Resistance“ in die Melodie des Refrains und kann bis zur Wohnungstür nicht aufhören zu lachen. Laufe konsequenterweise in einen der Poller vor unserem Haus.

Achter September

Tiergarten-Süd, 08:12
Die drei Notizhefte, die ich mit Joy, Love und Time beschriftet habe, als ich über die letzten Monate sinniert habe und der Brief der Rentenversicherung, der mir meine bisher gezahlten Beiträge zeigt. Denke an M, der mir gestern sagte, meine witzige Seite sei die, die man erst beim genauen Hinschauen bemerkt, nach der emphatischen, aber die Mischung mache es so besonders. Ich frage mich, ob ich zu loyal bin, ob das überhaupt geht.
In meinem Gesicht klebt Surgical Tape.

"I can go with the flow
but don't say it doesn't matter anymore"
(Queens Of The Stone Age - Go With The Flow)

© 2023 Anke Grünow / Impressum & Datenschutz