Mai 13, 2021Keine Kommentare

AWIS 002

all weather is process 002

Wie bereits erwähnt: seit Anfang / Mitte 2014 führe ich Skizzenbücher. Früher alles in mehreren gleichzeitig, seit Berlin ist alles zumeist in einem Buch. Erst sehr klein, Typ Reisepassgröße, später A5, seit einigen Jahren im Moleskine-Hybridformat kurz vor A4 (seit kurzem gibt es diese endlich auch tatsächlich als DINA4). Auf der einen Seite liegen da unfassbar viele Ideen verteilt auf mehrere Seiten Papier, auf der anderen Seite bemerke ich beim Durchblättern natürlich, welche verschiedenen Stadien ich durchlaufe(n habe), was mich interessiert (hat) und vor allem, wie viel ich schon komplett und fertig konzipiert habe, ohne das meiste davon fertigzustellen.
Serienansätze, vollkommen ausgearbeitet, Übungen, bei denen ich selbst noch mit Abstand sehen kann, wie viel besser ich in relativ kurzer Zeit geworden bin. Meinen Themen bin ich dabei meist sehr treu geblieben: Anwesenheit, Abwesenheit, Krankheit, Gesundheit, (neuro-)biologische Prozesse, fast alle Aspekte der Human Condition (Surprise). Neunundzwanzig Schatzkisten mit mindestens fünftausendfünfhundert Seiten. Das Sichten ist unfassbar inspirierend und auch wenn mir bewusst ist, dass das alles Arbeiten von mir selbst sind, ist es, als würde ich in ein ganz anderes Leben eintauchen als das, in dem ich mich momentan befinde. Unabhängig von den derzeitigen Umständen. Dazu kommt jedoch etwas, das ich zu Beginn des letzten Beitrags schon erwähnt hatte: Frust. Frust, Missmut, geringe Frustrationsschwelle - wie auch immer man das auch nennen mag. Perfektionismus beim Lernen und/oder Auffrischen von Skills ist nicht gerade eine hilfreiche Eigenschaft, ist aber hoffentlich eine, die ich zeitnah lernen kann zu relativieren.

Vor einigen Monaten habe ich mich in diesem Zug auch schon damit beschäftigt, wie andere Kreative mit Frust, Motivation und Projektarbeit umgehen. Bei einem David Bowie Feature, dessen Namen mir mittlerweile entfallen ist, kam im Rahmen der Arbeit mit Brian Eno und Tony Visconti an "Heroes" das Kartenspiel Oblique Strategies zur Sprache. Mit dem Untertitel Over One Hundred Worthwhile Dilemmas besteht es aus verschiedenen Prompts, die im weiteren und/oder engeren Sinn direkt mit kreativer Arbeit verbunden sind. Sie zielen darauf ab, Blockaden zu lösen, indem man aufgefordert wird, um die Ecke zu denken. Es gibt verschiedene inoffizielle Versionen davon mit unterschiedlichsten Iterationen und Erweiterungspacks, das Original gibt es direkt bei Brian Eno. Eventuell findet ihr eine Version, mit der ihr selbst gut arbeiten könnt. Da einiges davon Musiker:innen-spezifisch ist, habe ich für eigene Zwecke angefangen, abstrakte Prompts zu notieren, die für multidisziplinäre Künstlerinnen und Künstler passen, aber was am Ende daraus wird, ist eine andere Sache (siehe oben).

Um ehrlich zu sein waren meine letzten Wochen geprägter von anderen, prävalenteren Themen in meinem Leben als die Arbeit an meinem künstlerischen Output, siehe Diagnostik. So sehr ich mich auch weigere, "Produktion" (ist für mich Musikproduktion oder etwas in der Filmbranche) oder "Content" (sehe ich als beliebig in den Äther gespülten Inhalt, der auch als beliebig wahrgenommen wird, egal, wie viel Energie dort hineingesteckt wurde) in den Mund zu nehmen, was meine Illustrationen und andere Arbeiten angeht, merke ich schon, dass es mir sehr gut tut, etwas fertigzustellen und mit meinem Namen in Verbindung zu bringen. Fertigstellen könnte wiederum für den einen oder die andere etwas anderes heißen als für mich.
Fertiggestellt ist etwas - für mich - erst, wenn es entweder bei einem Kunden oder einer Kundin angekommen ist (innerhalb der Deadline) oder, wenn es sich um etwas handelt, das ich für mich gestalte, wenn ich eine Arbeit veröffentlicht habe. Das kann in Printform, digital hier auf dem Blog und/oder in dem Play- oder Portfolioteil (Spoiler und schon wieder "Surprise", wird Work heißen) meiner Website sein. Gelegentlich versuche ich mit Menschen aus meinem Freundeskreis verschiedene Deadlines auszumachen (funktioniert meist nicht, da dann keiner nach den Deadlines fragt) und diese Freundinnen und Freunde helfen mir in Gesprächen sehr, andere Perspektiven einzunehmen. Das ist vor allem dann für mich greifbar, wenn es um Ansätze geht, die ich für mich selbst verfolgt habe, was meine Ambitionen angeht. Dass es überhaupt erst eine Pandemie braucht, damit mir bewusst wird, was für und wie viele Skills, Assets und Talente ich eigentlich habe und was ich damit auch für andere anbieten kann, ist auf der einen Seite witzig, auf der anderen Seite stellt sich dann die Frage, warum man sich bisher herunterskaliert hat. Hoffentlich finde ich darauf irgendwann eine adäquate oder mindestens zufriedenstellende Antwort für mich.
Ich weiß noch, wie ich mir mitten im VK-Studium an der KH Weißensee vorgestellt hatte, mindestens zwei Monate im Jahr in einer anderen Stadt leben, arbeiten, illustrieren zu können und damit meinen Drang nach Reisen, das Aufsaugen neuer Orte und Stimmungen und (orts-)unabhängigeres Arbeiten zusammenbringen zu können. Auch hier hat die Pandemie gezeigt, dass es sehr wohl geht sich mit digitalen Hilfsmitteln abzusprechen. Nüchtern betrachtet könnte ich bereits an dem von mir anvisierten Punkt sein, auch wenn ich schon darüber lachen muss, wenn ich - alleine oder mit Freunden - verreise und gefühlt wie ein LKW "ein paar" für mich wichtige Dinge mitnehme (Skizzenbuch, einige Zeichenutensilien, mindestens zwei Kameras und Filme dazu), die mein Gepäck gleichzeitig beschweren. Jedoch ist das weiterhin ein Ziel auf das ich hinarbeite, denn so sehr ich es schätze, einen oder mehrere Orte als Homebasen zu haben, liebe ich es neue Eindrücke sammeln und verarbeiten zu können. Nur lasst mich dabei nicht zu sehr in Plattenläden abhängen, sonst braucht es tatsächlich einen Schwerlasttransporter um all das wieder zurück nach Hause bringen zu können.

Darüber hinaus gibt es natürlich ein paar andere Aspekte, die eventuell verstärkt werden durch die momentan geschlossenen Orte, an denen ich mich sonst bewegen würde. Mir fehlt schlichtweg eine Art Kollektiv, bei dem Menschen mitmachen (wollen), die ebenfalls multidisziplinär arbeiten, sich auf gemeinsame Deadlines für persönliche Projekte einigen können und der anderen Person auch Feedback geben. Natürlich sollte es mit diesen menschlich gut passen; bei Einzelnen habe ich das auch schon erwähnt. Der ominöse Begriff Accountability Buddy (oder gar Mentorship) lugt da wiederum aus einer dunklen Ecke hervor. Selbst gebe ich sehr gern Feedback, frage konsequent bei anderen Menschen nach wegen deren Deadlines, für mich selbst ist das mit verschobenem bis nicht vorhandenen Zeitgefühl eine Sache für sich. Auch hier hoffe ich, zeitnah ein paar Strategien erarbeiten zu können, die für mich funktionieren.


An sich lerne ich gerade wieder / erneut von der Pike auf und von/mit anderen Illustrator:innen und Gestaltenden, wie die Programme, mit denen ich sowieso schon arbeite, funktionieren, um das Impostor Syndrome zu vertreiben, um meine Arbeitsprozesse zu beschleunigen, eventuell sogar zu optimieren und um timen zu können, wie lange ich wofür brauche. Das tracke ich unter anderem mit Extensions, die direkt auf meinem Mac laufen, und die eigentlich für Zeiterfassung genutzt werden, um am Ende ordentlich aufgeschlüsselte Rechnungen erstellen zu können.
Ich arbeite mit einer Version, bei der ich für mich ein Projekt angelegt habe, das mit einem von mir vorher festgelegten Stundensatz arbeitet und mit dem ich für mich selbst und in Zukunft weiterarbeiten möchte. In diesem Projekt finden sich verschiedene Tasks, die ich u.A. unterteilt habe in: Research, Brainstorming, Skizze, Reinzeichnung (inkl. Koloration) und Skill Work. Skill Work beinhaltet alles, was das Erlernen neuer Fertigkeiten, sowie deren Auffrischen angeht und darüber hinaus gibt das Verknüpfen mit dem Stundenlohn dem ganzen eine neue Form von Wertigkeit. Damit meine ich wiederum nicht yay, Kapitalismus, sondern ich trickse mit sehr einfachen Mitteln mein Gehirn aus. Anstatt zu sagen "hab ein bisschen vor mich hingelernt" (die Früchte dieses Lernens kommen einem ja meist erst deutlich später zugute) sehe ich, wie lange ich Zeit in mich gesteckt habe.
Eine weitere - für mich - gute Geschichte ist dabei, dass ich wie weiter oben beschrieben, damit feststelle, wie lange oder eher wie kurz ich für gewisse Teilaspekte meiner Arbeit brauche. Mir ist bei all dem natürlich auch klar, dass die meiste Arbeit, also Denkarbeit, außerhalb der fixen Tätigkeiten geschieht, aber so wird das zumindest für mich deutlich greifbarer. Denn ohne ein wirkliches Zeitgefühl kann es nämlich schwierig sein, von vornherein Zeiten im Kalender zu blocken. Ihr wollt sonst auch nicht wissen, wie viel Geld ich schon aus dem Fenster geschmissen habe für spezialisierte Terminkalender, Planer, Termin Apps, nur um diese dann doch nicht zu nutzen.

Sonst brüte ich an meinem Logo, versuche immer noch mir selbst hinterherzuzeichnen - wir erinnern uns, 3 Jahre Illustrationen wollen erneut gezeichnet werden oder zumindest mein Grundstock an Assets will wieder aufgearbeitet werden. Mal funktioniert das besser, mal schlechter, aber ich nehme an, auch das gehört dazu. Denn das ist eines der Dinge, die ich davon gelernt habe, wieder umambitioniert Klavier zu spielen: kleine Schritte, dann große, am Ende belohnt man sich selbst. Vor einem halben Jahr hätte ich die Person schallend ausgelacht, die mir gesagt hätte, dass ich zu großen Teilen jetzt schon Merry Christmas, Mr. Lawrence von Ryuichi Sakamoto spielen werden kann. Nebenbei ist meine Hand-Augen-Koordination beim Zeichnen so viel besser geworden, dass ich selbst nur drüber staune. Und dann? Zeichnen macht mehr Spaß, Klavier spielen sowieso. Aber vermutlich wiederhole ich mich deswegen schon.

Metronomy - You Could Easily Have Me

März 22, 2021Keine Kommentare

AWIS 001

all weather is process 001

Ich habe im Kopf oft ein fertiges Bild davon, wie etwas, an dem ich zeichne, zu sein hat und bin dann frustriert, wenn es nicht sofort so aussieht. Mit Hilfe eines guten Freundes habe ich mir einen Guide verpasst um dem (und dem daraus resultierenden Impostor Syndrome) entgegenzuwirken. Auch werden hier in (un-)regelmäßigen Abständen endlich kleine Einblicke in meine Skizzenbücher, wie oben, kommen, was nicht nur zu Schritt 7, dem "Loslassen können", beitragen soll sondern auch zu einem größeren Verständnis für meinen künstlerischen Prozess und den Humor, der auch darin zu finden ist.

Mir ist bewusst, dass dieser Prozess bei allen künstlerisch Tätigen anders aussieht, die einen (gefühlt) geborene da Vincis oder Rembrandts sind, bei den Meisten aber einfach sehr viele Zwischenschritte dazugehören. Während ich mir beim Schreiben und Fotografieren all die oben beschriebenen Stufen schon längst erarbeitet habe und es für mich oft nichts ist, was ich krass finde, geht es mir beim Illustrieren und Animieren mit dem Veröffentlichen doch zu oft noch ein wenig anders.
In den letzten Jahren gab es sehr viele Momente in denen Fremde / Freunde / Bekannte in meinen Skizzenbüchern blättern wollten, um mehr Einblicke gebeten haben oder schlichtweg das Buch, in dem ich gerade arbeite, aus meiner Hand gerissen und durchgeblättert haben (PSA: macht das niemals ungefragt, bei mir ist es das Privateste, das es gibt). Auf YouTube gibt es Skizzenbuch-Reveal-Videos, andere füttern alles auf Instagram, andere wiederum zeigen nichts davon und bevorzugen es das finale "Produkt" vorzuweisen.

Seit ich mich ausdrücke(n kann), springe ich während der Arbeit selbst oft zwischen verschiedensten Themen hin und her. Gelegentlich zirkle ich tatsächlich in Ringform zwischen mehreren Themen. Wenn ich Glück habe und mich wenigstens ein bisschen konzentrieren kann, sind es Unterthemen oder zumindest verschiedene Aspekte des Gesamtthemas. Wenn ich Pech habe, ist es so, als hätte ich 10 Browserfenster mit je circa 50 Tabs mit YouTube Videos auf voller Lautstärke offen und muss kleinste Teile eben dieser Informationen auf Papier unterbringen oder schaffe gar nichts, weil es immer etwas gibt, das interessanter ist als das, was ich gerade bearbeite. Oder ich lese etwas zu einem Thema, das mich nicht so interessiert, wie es das in dem Moment tun sollte, und starre am Ende nur noch auf die weiße Seite hinter den Worten und der Druckerschwärze, bis ich mich wieder gefangen habe. Im besten Fall aber bin ich auf das Thema und die Aufgabenstellung vor mir konzentriert, sodass ich sehr fokussiert und dann auch sehr schnell arbeiten kann.
Für mich ist das normal und ich kenne es nicht anders: ich bin schnell gelangweilt und profitiere insofern von meinen vielseitigen Interessen, Vorlieben und Ausdrucksformen. Man könnte auch sagen, ich kann mein Gehirn produktiv austricksen. An guten, den meisten Tagen.
Mehr oder weniger stark und abhängig von meiner Tagesform erkennt man das auch in meinen Skizzenbüchern. Seit 2014 fülle ich in Regelmäßigkeit unlinierte Moleskine XL Softcover Bücher (Nachfrage dazu kommt oft). Darüber hinaus verlasse ich das Haus grundsätzlich nicht ohne einen Reporterblock oder zumindest ein A6 Heft und zwei Stifte, um schnell etwas notieren oder skizzieren zu können. Seiten daraus finden dann wiederum ihren Weg in die großen Bücher, nebst Stoffsammlungen, täglichen Tagesschau Themen (sonst findet man in ihnen überhaupt keine zeitliche Einordnung) und Arbeitsprozessen.
Mittlerweile bin ich bei Skizzenbuch No XXIX angekommen, fülle zuverlässig und vollständig eines alle drei Monate. Es sei denn, ich brauche dringend einen Neuanfang - in solchen Fällen bleiben gern 30 Seiten frei. Dafür kann ich dann unbelastet neu anfangen.

Warum also all das hier? Warum darüber schreiben, wie man seine eigene künstlerische Praxis versteht, wie man sie auslebt? Weil es keine falsche Form davon gibt, und weil es fahrlässig sich selbst gegenüber ist, sich mit anderen Kreativen und deren Endergebnissen zu vergleichen, wenn man noch nicht einmal begonnen oder etwas beendet hat. Weil es momentan in meinem Leben einige Bereiche gibt, wo ich merke, dass es mir geholfen hätte, Informationen, die einigermaßen auf ein multidisziplinäres Arbeiten zugeschnitten sind, zu finden. Und auch, weil ich glaube, dass es anderen vielseitigen Kreativen ebenso helfen kann, Herausforderungen und Erfolgserlebnisse gleichwertig abgebildet zu sehen.
Zum Beispiel tue ich mich schwer damit, mich in eine Box zu packen oder mich mit einem eineindeutigen Label zu versehen. Bin ich jetzt "nur" medizinische Illustratorin, bin ich "nur" Künstlerin, bin ich doch auch Fotografin und Schriftstellerin, bin ich "Jackie of all Trades", muss ich "nur" eins sein?

Wie viele und wie tiefe Blicke ich in meinen Arbeitsprozess geben werde, weiß ich noch nicht ganz genau, nur bemerke ich auf jeden Fall seit einiger Zeit schon eins: es kann sehr befreiend sein, loslassen zu können.

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