Dezember 27, 2017Keine Kommentare

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Als gäbe es ein Fass in mir drin, eines, das aufnimmt, was mich umtreibt. Wenn ich will, möchte, muss, kann ich einfach das, was ich fühlen will, denken. Ein Hineindenken als wäre da etwas wie eine wohlig warme Decke, eine, von der ich denke, dass ich sie aushalten und tragen möchte. Früher immer nur ein Hineindenken, heute ein Wollen.

Von einem Gehen und Werden und der Frage, was mein Gehen bedeuten würde, würde ich bleiben können, sollen, dürfen. Ein Herausfiltern eines vielleicht. The suspense is killing me.

"bring yourselves to me"
(Rhye - Count to Five)

Dezember 12, 2017Keine Kommentare

171212

Du lässt dir generell viel Zeit, denke ich weiter und beschäftige mich wieder mit Fragestellungen, die ich alleine nicht lösen möchte. Auf der Haut über meiner rechten Clavicula ein Leberfleck, ansonsten der große Wagen auf dem oberen Teil meines Brustkorbes. Ich frage mich, wie sich eine Berührung davon anfühlt.

Berlinmomente, die sich durch alle Beobachtungen ziehen. Hier ein wenig Psychose, dort etwas viel Einsamkeit. Du vermutest, dass das etwas mit dem Wetter zu tun hat und hastest voran. Splitt, wieder, unter den Sohlen, das Gefühl, als könntest du eigentlich jetzt schon mit dem Schlitten fahren. Über Steine oder Schnee: es ist dir herzlich egal, vielleicht läufst du aber doch lieber.

Deine Muskeln erinnern sich an das letzte Mal, als du sie benutzt hast, ein Wurf nach der länger verschwundenen Kondition hin und Kälte, wenn du dir dann nachts beim Schlafen doch wieder diesen einen Nerv einklemmst und beim Aufwachen lachen musst. So ein Moment.

Du verortest dich regelmäßig, täglich fast, du hörst aufmerksam zu, schreibst gelegentlich mit. Die Poesie der Zwischenzustände, alles auf dem Weg zum Anderen. Wenn du nach etwas Bestimmtem suchst, bist du auch nur an einem zukünftigen Zwischenzustand interessiert. Du weißt, dass du wirst, du weißt, dass du nicht aufhörst zu werden.

Dinge, von denen ich nicht wusste, dass sie durch meinen Kopf fliegen. Ich habe das Gefühl, ich muss mich wieder schreiben.

"it's unfortunate but when we feel a storm"
(Massive Attack - Paradise Circus)

Dezember 3, 2017Keine Kommentare

171203

Du hast dir Zeit gelassen, denke ich, ich stehe seit ein paar Minuten am Bordstein der Straße, in der die Busse gelegentlich in Kolonnen kommen. Um die Ecke eine Straße, die den Namen meines Geburtsortes trägt. Bist du verwebt in die Textur des Wissens, das du dir hast aneignen müssen seit deiner Geburt, wo fangen die Versatzstücke an, hast du Sollbruchstellen? Wo beginnen deine intertextuellen Bezüge, gibt es da etwas, das größer ist als alles, was du hättest werden wollen?
Vielleicht habe ich von etwas erzählt, aus Versehen, etwas, an das ich mich selbst nicht erinnern kann und will; 256 Varianten von allem. Momente, in denen die Stadt mir näher ist, als ich es gebrauchen kann. War das fahrlässig? Das Paar, das zu einem schief singenden älteren Herren über den leeren Columbiadamm tanzt, Menschen, die sich um die Hälse fallen. Ich laufe jede Rolltreppe sehr schnell hoch, fast so als wäre ich eine Fata Morgana gewesen.

Beim Fotofachhändler meines erzwungenen Vertrauens hassen sie mich, die Alte Schönhauser Straße mag ich nur bei Regen und untergehender Sonne. Hedwig, nicht zu weit entfernt, thront in Ruhe zwischen den Häusern, gelegentlich kann man noch die Synagoge sehen. Das Haus mit den Einschusslöchern, das am Zugang zur Kirche, verlangt nach meiner Berührung. Ich verlange ebenso nach Berührung. In der S-Bahn riecht es noch wie vor drei Jahren.

Vielleicht bist du aber wie eine Pipette, lernst, alles in dir aufzunehmen. Vereinzelte Glanzmomente und dann doch die Prognose von Herrndorf, die dich auch damals schon getroffen hat. Du stellst dir vor, wie er in der Klinik am CCM in seinem Pinguinkostüm sitzt und wartet. Um ihn herum alles still.
Lese mich dementsprechend ein paar Tage später durch die verschiedenen Neoplasien des Körpers und deren WHO-Klassifikation. Ich bekomme den Kopf nicht frei. Hier bauen sie Weihnachtsbäume auf, etwas schief, etwas off-centre. Für mehr Herzlichkeit, für ein Rückbesinnen auf sich selbst, ich mag es nicht, wenn ich zu aufgeregt bin.

Ich beobachte zwischendrin den Fluss der Menschen auf der Straße an dem Bordstein, auf dem ich gerade noch stand, mir ist kalt. Ein bisschen versagt mir die Stimme und ich stelle lieber Fragen. Schon Hölderlin warnte davor, dass man auch in die Höhe fallen kann, ich rieche dein Waschmittel, in dir drin scheinbar auch ein stetes Beben.

"oh you think so much and live so little"
(Kraków Loves Adana - American Boy)

November 16, 2017Keine Kommentare

171116

Sauen I, Brandenburg, 2017

Das meiste könntest du dir noch nicht einmal ausdenken, selbst wenn du es wolltest. Wie du dich verortest und dir einen Zeitrahmen gibst. Ein Hin- und Herhangeln durch Nachrichtensendungen, all die kleinen Dinge, die du nicht mitbekommst, trotz alledem. Vielleicht ist der Wald in Brandenburg die Antwort auf alle Fragen, vielleicht willst du alles zu sehr und befürchtest, du willst nichts so richtig. Dir selbst eine Heimat sein, heimisch sein im eigenen Körper und doch oft schwer verstehen, was die Hülle und ihre Innereien von dir wollen. Blood, in mint condition, leider nicht mehr neu, nicht mehr OVP, nicht mehr so klein wie am Anfang.
Du fragst dich, wer die Kapitelseiten der Dualen Reihe gestaltet und beschließt, wieder mehr zu lernen. Wortwolken, freie Assoziation, du fragst dich, was das Leser interessieren soll. Du siehst dabei zu, wie die Menschen sich von sich selbst emanzipieren und die gleichen Mittel und Medien nutzen wie du. Die Angst vor Sartre, vor unausweichlichem Existenzialismus. Du beißt auf ein hartes Stück Plätzchen, der eine Zahn will nicht mehr ganz so sehr wie du.

Das waren einfach andere Bilder, da waren Bilder in dir drin, deren Inhalt nie exakt so sein kann wie in einem anderen Kopf. Die Einsamkeit der zentralen Nervensysteme.

Aber dann bist nicht nur du unsicher, dann sind es auch alle anderen. Denn nicht nur an deinen Ausgängen ist es immer frisch gestrichen, auch an denen von allen anderen und an allen anderen Stellen. Minimalinvasiv als Versprechen.

(Corrina Repp - Lost At Sea)

Oktober 10, 2017Keine Kommentare

171010

In meinem Pass steht etwas von blau-grau, ein paar Nummern unten und oben rechts. Ich frage mich, was die Handwerker, die unsere Heizung repariert haben, die ganze Zeit machen. Das Wasser plätschert jetzt nur so durch den Heizkörper.
Gelegentlich das Gefühl, alle finden bald heraus, dass ich das, was ich kann, eigentlich nicht richtig kann. Hochstapler-Syndrom, nichts da mit ICD-10 oder dem DSM-V. Lebensgefühl, Lebensbefürchtung. Seit fast fünf Monaten medikamentenfrei, im Kopf allerdings schon lange an einem anderen Ort.
Ich dünste Gemüse, kaufe frisch ein, halte Ordnung. Morgens wache ich auf ohne mich zu fühlen als hätte ein Traktor mich überrollt. Meist stehe ich nicht auf, wenn ich das erste Mal meine Lider für den Tag öffne. Auf meinem Nachttisch ein Wecker, der meinen Vornamen trägt und unangenehm laut tickt und noch viel schlimmer klingt, wenn er läutet.
Die Frage früher, also damals, wie die normalen Leute planen und sich motivieren und wie sie erkennen, dass sie Ziele haben. Ich möchte wissen, wie es denen geht, die ich kurz kannte. Jahrestage, die sich überschlagen, Besuche, Bedauern, Retraumatisierung, ein geplatzter Knoten. Zwei Bücher in Erinnerung. Eines, da war ich vier und konnte Fraktur lesen und schreiben - Märchen; eines, da war ich sechs und wollte mir die ganze Zeit Krankheitsbilder ansehen, auch wenn ich von den Erläuterungen eigentlich nichts verstand: Psychrembel. Jetzt bedeutet elf Auflagen später.

Auf meinem Ausweis steht etwas von blau-grau, ich frage mich, ob sie nie richtig hingesehen haben. Mein Gesicht als Hologramm, daneben, Haare wie ein Helm. Im Spiegel ist da Wald und an einigen Tagen in besonderem Licht auch Beton, am anderen Ende von diesem Kranz um den Lichtstrahl wohl vom Namen her mehr waldartiges.
Ein Jahr und letzte Stufen Abgrund bevor die Genesung so richtig einsetzen konnte. Teilweise Fremden dabei zusehen, wie sie über meine klar gezogenen Grenzen trampeln, sich fragen, was Menschen dazu berechtigt, dass sie in Leben preschen. Ein Jahr, in dem ich auf die harte Tour gelernt habe, was toxisch ist, was auf die Rückbank gehört und irgendwann zu vergessen ist. Denken und sich lieber erinnern an das und die, die nie nur Dickicht oder eine exotische Topfpflanze sahen.
Weißt du, in meinem Gehirn gibt es einen eineindeutigen Ort, in dem du wohnst, im besten Fall lebst du in mehreren. Vielleicht ist das der Spuk, von dem manche sprechen. Deine Ecken und Kanten konnte ich nie ganz ausloten, meine waren eher wie der Marianengraben. Weißt du, der Konjunktiv ist niemandes Freund, aber besser ein Lernen im Großen und Kleinen als ein langsames Ablösen.

Weißt du, große Fenster sind mein Fluch und mein Segen zugleich. Möglicherweise ist das hier das größte Fenster, das ich habe. Früher, beinahe ein von außen auf mich selbst sehen, eine Rekonstruktion von Teilchen, die in Chronologie nicht immer ein Ganzes bilden.
Ich wollte dir hier in Regelmäßigkeit etwas hinterlassen, eine Art Haltegriff, eine Art warme Decke. Weißt du, es gibt mehrere Versionen von dir, du bist alle Personen, die ich kenne, du bist nur eine Person davon.

(Andrew Bird - Roma Fade)

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