Rationalisieren und Substantivieren als großes Gespann. Du hättest das früher früher erwartet, hättest auf etwas zyklischeres spekuliert, ähnlich Jahreszeiten, hättest eventuell sogar den gleichen Zeitrahmen erfürchtet. Das Befürchten war immer irgendwo im Hinterkopf, zuletzt sehr klein. Gewundert hast du dich beinahe schon, dass du bis zum Ende des Novembers gut durchgekommen bist. Irgendjemand sagte - du weißt nicht mehr wer - Resilienz kommt von positiven Beziehungen; du nickst deswegen immer wieder. Genau deshalb pflegt man seine engsten Netze, schützt sie ähnlich gut wie die Haut im Auge.
Dann die Erkenntnis: du kommst nicht an dich heran. Du fühlst dich in Stimmungen, versuchst es, artikulierst es gelegentlich dir selbst gegenüber. Es schlägt sich Bahn, die Knochen in deiner Schulter und Halswirbelsäule knacken gelegentlich, das Rumpeln muss doch kilometerweit zu spüren sein. Die innere Richterskala, du siehst anderen dabei zu, wie sie die Sprache nicht finden. Du stehst gerade zwischen Gedanke und Gefühl und versuchst, die eine Augenbraue nicht hochzuziehen.
Die eine weiße Strähne legt sich halb über dein Gesicht, als hätte sie etwas, was sie dringend erzählen wollte. Dann die Augen, immer noch grün.
Das Beginnen zu Erzählen von dem, was ist. Generell, es ist was es ist, was du daraus machst.
Du spürst dich hinein in den Druck, den dein Mantel auf deinen Po ausübt, wie er über den Rücken fällt, wie deine Schultern tragen, wie das Gewicht des Mantels vorher in deiner Hand lag. Eigentlich wolltest du länger in der Sonne spazierengehen; Müdigkeit beiseite schieben, aber erst hat es geregnet, dann war es beinahe schon dunkel. Frühlingskinder, seit September das Warten auf den März, jedes Jahr das Sich-Fragen wie die dunkle Jahreszeit zu überstehen ist; du liebst das Licht aber besonders im Winter. Dir fehlt Berührung.
Immer und immer wieder beschreiben was ist. Immer und immer wieder den Duktus suchen, der zweite Haut sein könnte. Immer und immer wieder fragen, was hätte sein können. Vermutlich sammeln sich auch da, auf der zweiten Haut und im Konjunktiv, schnell blaue Flecke. Mit den meisten kannst du leben.
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Das nehmen, was man hat, kann und will und darauf aufbauen. Sich schreiben in den Zustand, in dem man sein will, egal, ob man sich traut, sich selbst Schriftsteller zu nennen oder Künstler. Ändert sich etwas an dem, was du machst, abhängig von dem, mit dem du arbeitest? Brauchst du den speziellen Tastenhub, braucht es eine ganz bestimmte Haptik, einen gewissen Klang, Widerstand? Woher kommt all das Repetitive - zumindest hier - das vermeintliche Beiwerk, das auch als Hauptwerk durchgehen kann?
Sich fragen, warum es so oft so viel leichter war, an und mit etwas Mechanischem zu arbeiten, warum die Hand langsamer war als der Kopf. In die Schreibmaschinen gehämmert, die du von Freundinnen deiner Großmutter bekamst sowie von ihr selbst. Schneller und besser als das, was du gewährleisten konntest mit Tinte in Bögen und kleinen Kringeln, die du definitiv so nicht in der Schule gelernt hast zu schreiben. Dann der Sprung von der komplett maschinellen zur elektrischen Seite, die sogar dann weiterschreiben wird, wenn deine Gedanken zwei Sätze oder Zeilen weiter sind als ihr mechanischer Arm. Oder eben ihr elektrischer. Früher sich oft denken, dass die Nachbarn dich wirklich arg hassen müssen. Du hast dich in die U-Bahnhöfe gesetzt und beobachtet: um Sprache zu vereinfachen oder zumindest das, was du siehst, auf dich wirken lässt, in einfachere Worte zu packen. Heute siehst du, wie Menschen die Worte wieder verdrehen, vielleicht war das immer so, womöglich hast du es vorher nicht so gesehen oder gelesen oder die Videos der Leute waren schlichtweg nicht so sehr in deinem Gesicht wie sie es nun sind.
Sich also wieder die Ruhe nehmen sich hinzusetzen, sich trauen zu beobachten, erstmal ohne jegliche Form der Bewertung etwas passieren zu lassen. Ohne jegliche Form der Bewertung zu schreiben, die Worte in Schubladen packen, auf Seiten schreiben, die du ein paar Monate sein lassen kannst, die irgendwann wieder wollen, wenn du genau weißt, wann dieses "irgendwann" ist. Eben, weil sie wieder zurück in dein Gedächtnis kommen, egal auf welche Art und Weise auch immer. Ein Zurückdenken an den Professor an der UdK, wie man sich auf und in den Gängen begegnen konnte ohne sich zu kennen und wie man doch viel voneinander wusste, schlichtweg, weil es Brotkrumen gibt, die der jeweils andere mal zufällig gefunden hat. Egal wo. Sich daran abarbeiten, wie es sich mit Impostor Syndrome anfühlt vor anderen zu zeichnen oder zu schreiben, schlichtweg kreativ zu sein oder Kreativprozesse offenzulegen ohne Gewähr, dass am Ende auch wirklich etwas draus wird. Wie andere Menschen, die selbst nicht in die Position kommen, exakt dies zu tun (vor anderen, teilweise vor Fremden, in einem halbgeschützten Raum), oftmals ungefragt eine Wertung abgeben, die es zu einem frühen Zeitpunkt im Schaffen einfach nicht braucht, hat etwas von dem, was Brené Brown mit der Arena-Analogie beschrieb. Es ist immer leichter von außen drauf zu schauen, zu denken, man kann etwas einschätzen, obwohl man in Wahrheit gerade einem Prozess zusieht, der sich noch über Stunden, Tage, Wochen oder viel länger ziehen kann.
Das Erwähnen des Egos (Tweedy, 2020), die Frage, wie man es verschwinden lassen kann. Das Ausschalten des inneren Kritikers oder all der anderen Stimmen, die sich über die Jahre haben ansammeln können. Just write, you can always revise later. Wie ist es also mit dem Springen zwischen den einzelnen Versionen der Kreativität? Wie sehr stehen sie in Relation zueinander? Wie sehr sammelst du Dinge, die du später in einer Serie zu etwas verarbeitest, das es vorher noch nicht so gegeben hat, mindestens nicht in dieser Form? Du nimmst dir Urlaub von den Sachbüchern, die sich mit Pathologie, Tod und kollektivem Gedächtnis, alternativ kollektivem Vergessen, beschäftigen. Du wünschst dir gelegentlich etwas, was deine Gedanken zu transkribieren vermag, in einer Art, auf die nur du zugreifen kannst. Eine, die es dir deutlich leichter machen würde, all das, was in den Momenten, über die Tweedy schreibt, wenn er vom Prozess und dem Verschwinden in Kombination mit dem ausgeschalteten Ego erzählt, in deinem Kopf relativ klar und teilweise sehr geordnet in Strängen von einer Art Decke hängt, aufzuschreiben. Du musst nur an einem dieser Stränge ziehen können, schon kommt der nächste Satz. Eventuell ist das auch dieser Flow, von dem Mihaly Csikszentmihalyi schrieb, den du selbst kennst aus Begebenheiten, die eine Mischung aus Flow, Routine, richtiger Stimmung, harter Arbeit und Zeit darstellen.
All weather is process.
Nochmal: gibt es einen Unterschied zwischen den einzelnen Medien? Sind andere, Zuschauer, nachgiebiger, wenn es sich um Musik handelt? Entschuldigen sie eine vermeintlich falsch gesetzte Linie mehr als ein fast schon viel zu wuchtig in den Satz gelegtes Wort? Wie sehr verzeihst du dir, dass du zu Beginn noch gar nicht so weit sein kannst wie die, mit deren Werk du dich jetzt schon vergleichst? Nimmst du es als Motivation, als Ansporn, siehst du einen Weg zu dem Level an Können, der dir durchaus Vorbild sein sollte? Trennst du Person und Werk, geht das überhaupt? Welche überromantisierte Vorstellung hast du von der Arbeitsweise dieser Künstler und Künstlerinnen? Welche von dir? Wie siehst du dir beim Arbeiten zu? Siehst du Lernen, Recherchieren, Ausprobieren als die "Arbeit" an, die es auch ist und wertzuschätzen gilt? Wieso bist du mit anderen Menschen wohlwollender, verzeihender, antreibender als dir selbst gegenüber? Wie sehr bist du dem Narrativ des "natürlichen Talents ohne jegliche zusätzliche Form von Übung, Praxis, Verbesserung" aufgesessen? Inspiration is rarely the first step, schreibt Tweedy (Tweedy, 2020, S. 19), [it] has to be invited. Die eigene Version von Inspiration in einem Prozess, einer Struktur, oder wie es Herrndorf bezeichnenderweise seinem Blog (und damit seinem posthum veröffentlichten Buch, das aus den Einträgen seines Blogs besteht) als Titel gab: Arbeit und Struktur, verzeichnen, verorten, einordnen. Wenn es aus dem Nichts kommt, fühlt sich Inspiration durchaus auch an wie ein Zwang, jetzt, genau jetzt, ganz dringend den Weg zum nächsten Stift, der nächsten Kamera zu finden, jetzt, genau jetzt, damit zu arbeiten und das Gefühl, man wäre gerade auf einen überlaufenden Kelch voller Ideen gestoßen und darf nichts anderes mehr tun als sich mit eben diesem zu beschäftigen, bis nichts mehr überläuft. An anderen Tagen ist es, als würde ein massiver, noch nicht zerbröckelter Backstein den Kopf treffen, eine Art Wink mit dem Baumstamm.
Wenn da also mindestens ein Mal diese Erfahrung war, scheinbar aufgetaucht aus dem Nichts, wie der möchtest du es selbst, von alleine, wieder schaffen, dass dieses erneut, wie aus dem Nichts, auftaucht? Ist es Stolz auf und wegen Arbeiten, die du im Nachhinein verklärt hast als Blitz der Inspiration und die du nie als das betrachtet hast, was sie sind: die Folge eines kontinuierlichen Prozesses des Lernens, von Anstrengung, Zeitinvestition (Zeit, die andere eventuell stattdessen mit ihren Freunden, ihrem Sozialleben verbracht haben)? Findet sich die Möglichkeit eines Spagats zwischen diesem wohlig eindringlichen Gefühl und der Übung, Wiederholung, die die eigenen Fähigkeiten ausmachen? Wie sehr muss der Kopf drin sein, wie sehr sollte er ausgeschaltet sein?
Kurzum: du hast keinerlei Ambitionen, Songs zu schreiben, du ziehst stattdessen Tips für deine eigene künstlerische Praxis daraus. Du willst wieder in die Gewohnheit kommen, jeden Tag eine gewisse Zeit für deine Arbeiten beiseite zu legen, aus dieser kommt der Fortschritt. Und nächstes Mal wird's dann auch wieder etwas weniger verkopft.
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Ein Satz von vor Jahren und wie du wieder so schreiben willst, dass es dich selbst nach langem Liegen von Texten in der Schublade inspiriert. Früher immer die Zeit vergessen, nicht, weil etwas wichtiger war, eher weil ich nicht wusste, wie lang Zeit ist.Link
Ein immer und immer und immer wieder, nicht von vorn, aber eben immer wieder. Dir schwappt wiederholt etwas Unerwartetes entgegen, etwas, das in dir eine Reflexion in Gang setzt, die bedeutet, dass es gut ist, was vergangen in einer Zeit liegt, in die du dich nicht mehr hineinarbeiten, hineindenken, hineinleben musst. Über alles, was dir passiert, darfst du schreiben sagen die einen, du selbst schränkst das ein. Alles, was du denkst zu dem, was dir passiert, das, was du fühlst wegen genau diesem. Die Geschichten der Anderen sind nicht solche, die du erzählen solltest, wenn sie nicht davon und darum wissen. Über sie schreibst du natürlich auf eine Art, verklausuliert, wie du es seit Jahren schon machst.
Es ist so, als müsste nur mit der Zunge geschnalzt werden und Dinge ändern sich. Du starrst auf einen Bildschirm mit einem Stück Brandenburger Brache, Nebel und Nieselregen und hältst dich mit der einen Hand an der angeschalteten Heizung rechts von dir fest. Dieser Raum ist beinahe ein perfekter Würfel und die Fenster stellen die Seite, die sonst mit zwei gegenüberliegenden Punkten vermerkt ist. Der Herbst fällt anders in die Stadt ein, an anderen Stellen ebenfalls etwas, das an Kampfrhetorik erinnert. Du bist weich geblieben, cremst dir die Haut mittlerweile etwas öfter ein, rutschst dafür nicht mehr in der Badewanne aus. Also schnalzt du nicht mit der Zunge, gräbst stattdessen tief in Kirchenbüchern, bist bei einem Zweig deiner Vorfahren bei der sechsten Generation angekommen. Wie sich manche komplett finden lassen können und andere wie verschwunden sind. Danach die Schönheit des Gehirns und die unterschiedlich aktivierten Bereiche bei verschiedenen Kreativitätsformen. Du hörst MRT-Sounds zur Entspannung.
Das hat sich so in der Zeit festgesetzt. Du weißt schon, dieses Licht, das von den Fenstern in Mitte auf den Asphalt und gelegentlich auch auf dich fällt. Die ruhigen Orte in einer Stadt, aus der alles in Wellen nach außen schwappt. Du siehst den Schatten der Kräne dabei zu, wie sie über dich ziehen, manche haben ihre inneren Kräne nummeriert.
Es gibt manches zu dem es sich ruhigen Gewissens lohnt zurückzukehren. Große Schritte der vergangenen Jahre in ungeordneter Reihenfolge: das Ablegen der Alter Egos und Annehmen des eigenen Namens, von in dichter, massiver Fiktion gebetteten verarbeiteten Eindrücken zu dem puren Beschreiben von Leichterem. Ein Nachzeichnen von Licht, ein Abkehren vom Schreiben als Du, dann ein Schreiben hin zum Ich. Und jetzt ein Zurückkehren zum Du. Genau das ist es dann aber, dieses Weiterschreiben, das Sehen, das Lernen des Sehens alter Dinge, eingestaubter. Das Aufschreiben von Gedanken, das Beschreiben, sich Erinnern-Wollen der Worte, die Andere vergessen festzuhalten. Die legst du stattdessen in eine Schale, eine aus Papier oder Pixeln, sodass sie sich lesenden Augen zuneigen können wie die Pflanzen auf dem Fensterbrett zur Sonne. „Methodik“ des Schreibens. Aber auch du musst warm werden, üben, das ist wie beim Illustrieren oder Musizieren. Ist es dann aber die Hand, die du warm schreiben musst oder ist es das Hineindenken oder Hineinfühlen in die Lage? Gelegentlich will es einfach nicht, dann schmeißt du Papier durch die Gegend, gehst eine Runde, atmest durch und lässt einfach wieder geschehen. Vielleicht ist das der Unterschied.
Vielleicht ist ein weiterer Unterschied, was genau beschrieben werden soll. Wie viel Knausgård kann jemals in dir anspringen? Wie ist es mit der Sicht nach draußen, durch wie viele und welche Schichten siehst du? Sind da zwei alte Flügelfenster mit starren Griffen, bei denen es lohnt, sie bald in Terpentin einzulegen und die es mit einigermaßen Aufwand aufzumachen gilt oder braucht es nur den Plastikfenstergriff, dessen Quietschen sich nachts durch die Innenhöfe lärmt?Das Trennen von Werk und Schreibenden. Wie sehr ist das überhaupt möglich, wenn Sprache viel, wenn nicht gar das Meiste, von dem formt, was ist. Was „man“, „ich“ ist? Wie sehr formt das, was an Worten in dir ist, in welcher Sprache auch immer, das, was du bist? Folgt die Sprache dem Charakter oder ist es umgekehrt?
Der Wurf zum Schreiben hin als Wurf zum Verstehen.
Was hat dir das Gehen durch Krankenhäuser gefehlt. MNS mindestens, sonst OP-Masken überall. Du lächelst Andere mit deinen Augen an, über dem einen Eingang klebt noch RUHE BITTE über der Glastür, ausgedruckt als je ein Buchstabe pro DIN A4 Blatt. Teilweise stehen die Türen offen für Fachgespräche der Radiologie. Denken an den Dozenten mit den Büsten im Raum auf dem anderen Campus und wie er, während die Vorlesung zu Notfall- und Katastrophenmedizin lief, leise hinter den Vortragenden zu seinem ein wenig schief stehenden Schrank ging und sich seine Kleidung herausholte. Nur um in voller Fahrradfahrermontur in die winterliche Dunkelheit zu verschwinden. Immer und immer wieder der Wunsch nach dem Beginnen, nach guter Lehre. Das Sich-Selbst-Motivieren als Gang in Bibliotheken, als das Sitzen an Schreibtischen, als das Gedanken-Verloren-Sein und Starren darauf, wie Licht durch die Souterrainfenster fällt und an den teilweise leeren Metallregalen durch den nach Druckerzeugnissen unterschiedlichen Alters riechenden Raum wandert. Dein Blick wandert zuhause zwischen Bildschirm, dem kleinen Spiegel hinter dem Bildschirm, der dir erlaubt, dir in die Augen zu sehen, und einem kleinen Zettel, auf dem „DON’T SELF-SABOTAGE“ in roter Schrift geschrieben ist, hin und her.
Es wird Winter, Skizzenbuch-Zeit. Sich freischreiben, festschreiben, freizeichnen, festzeichnen und den Finger auf den wunden Punkt legen. Du bist mehr Stargate als Maneater, noch immer.
Ich glaube, irgendwo kann man für manches von der Frequenz der Dinge auf deren Besonderheit Rückschlüsse ziehen. Etwas Spektakuläreres hatte ich mir jedoch vorgestellt: alle fünf- bis sechstausend Jahre an der Erde vorbeiziehend, dieses Mal also während einer Pandemie, die dem Kometen da oben so ziemlich egal sein dürfte, wirkt es jetzt so, als würde dieser durch den Baum vor meinem Haus stürzen. Wie wir auf der einen Bank an der Kreuzung sitzen und mir Grashüpfer konstant aus der Kastanie in die Haare fallen, während mir der Trichter kommt, dass es nicht die beste Idee ist mit Kurzsichtigkeit und ohne Vergrößerung einen Himmelskörper beobachten zu wollen. Sehr hänge ich in meinem Kopf. Dann viel nahes Phäomelanin und weiche Haut.
Das Sortieren und Ordnen von hier nach da. Es braucht meist ein wenig Zeit für mich und Schreiben, bis ich etwas so für mich verarbeitet habe, dass ich weiß, wie ich es für mich einordnen kann. Ein Kopf mit Gedanken auf Concorde-Niveau und mit Themen Ping-Pong spielend. Gil Scott-Heron kratzt in meinen Ohren. I'm new here, I think. Ein paar Tage später prelle ich mir wieder diese eine Stelle am Unterarm, während an meinen Oberschenkeln blaue Flecke auftauchen und durch meine linke Hand abwechselnd Taubheitsgefühle und Missempfindungen toben. Das mit dem Licht ändere ich schnell, verdunkle nun meine Fenster, schlafe auf einmal tiefer und erholter. Die Vorhänge sind so schwer wie der Sommer sich anfühlt und auf den Kreuzungen der Stadt liegt. Durchzug in der Wohnung, als wäre der Luftstrom ein tiefes und sehr langsames Ein- und Ausatmen des gesamten Seitenflügels.
Aus Häusern herausstieben als wäre man selbst Staub, der feine, nicht der grobkörnige, der schlagartig durch die Luft schwebt. Sich nach Regen sehnen und sich erinnern, wie es zu Orkanen im Park am schönsten ist. Denke wieder an J und ihre Worte und wie sie immer noch so sehr recht haben - manche haben einen unfassbar schönen Verstand.
Es fühlt sich alles sehr nach Warten an, es ist etwas, das ich nicht mag, vor allem, wenn ich mich auf etwas freue, aber kann, wenn ich es muss. Viel zu lernen gab es über mich in den letzten Jahren, vor allem den letzten drei. Was hat aufgehört, wohin zieht es mich zu sehr, worin und wobei bin ich ungeduldig und warum?
Ich sehe meinem Daumen dabei zu, wie er zuckt. Erst an der rechten, dann der linken Hand, dort bleibt danach ein Gefühl von Reizung übrig. Als hätte man zu seichten Muskelkater nach zu viel Zerknüllen von Papierbällen. Oder als hätte ich gerade einen Baumwollpullover an meinen Haaren gerieben und hole mir beim Greifen nach einer Metalltür einen Schlag. Nur, dass es kribbelt und schmerzt, fast einen Tag lang. Dabei lerne ich synonym verwendete neue Fachbegriffe: Dysästhesie und Parästhesie.
Mein Leben ist ein Leben auf achtzehn Quadratmetern, plus etwas Küche, Bad und Flur. So langsam schwärmt es aus, schleicht, nein, läuft, nein, rennt aus der Zimmertür, findet den gesamten Flur, das gesamte Bad, die gesamte Küche, die gesamte Wohnung mit dem freigewordenen Zimmer. Schon hunderte Male in diesem Raum gewesen, im Prinzip als Gast, da war ein anderes Leben drin, da war immer etwas gefüllt mit Sein. Sich in Wellen freuen und zwischendrin anfangen zu lachen. Wie lange wird es dauern, bis dieser Raum nach mir riecht (und wie rieche ich eigentlich für jemand anderen)? Wie lange dauert es, bis er so ist, wie ich ihn mir vorstelle? Wie eignet man sich also einen Ort an, wie verorte ich mich?
Das erste Mal seit drei Jahren führe ich nicht das gleiche Gespräch mit der Frau, die mir bei meinem Parfümeur die Nachfüllflaschen verkauft. Sie ist nett wie immer, aber ein großes Schweigen geht durch den Raum. Am Ende frage ich sie, wie es für sie ist, so als Person, die viel mit dem Geruchssinn zu tun hat (abgesehen von den Plastikblumen, die, wie ich beim Warten vor dem Eingang lerne, seit 1926 Teil des Firmenkonzepts sind). Roter Teppich, rotes Kordelabsperrband, alles als wäre Berlinale. Sie zieht schlussendlich die Schultern hoch wie ich und erzählt wie sie jetzt Proben auf Papierstreifen mitgibt. Wie immer aber wickelt sie meinen Flakon ein in Geschenkpapier, fragt mich wie jedes Mal, ob es für mich sei, ich antworte dieses Mal einfach ja, anstatt mir irgendeine Geschichte auszudenken, wie ich Freundinnen und Freunden etwas schenken will. Auch damit scheint sie zufrieden. Alles Gute für die Woche wünsche ich ihr und sie bleibt allein in dem aus der Zeit gefallenen Laden zurück, der in seinen Anfängen nicht in Charlottenburg war sondern um die Ecke von mir, in meinem Kiez.
Ich schwappe also in Leere hinein, das kenne ich sonst nur von Räumen, kurz bevor ich sie verlassen habe. Generell, fast immer dieses Wegwollen, Gehen-Wollen, Wegrennen-Wollen, eventuell war and suddenly I feel like running auch eine Version davon. Nun aber ein Bleiben-Wollen, Tiefer-Wollen, Eruieren-Wollen, an meinen Beinen wieder blaue Flecke.
Haynes, J. D. (2015). An Information-Based Approach to Consciousness: Mental State Decoding. Open MIND: 17. https://doi.org/10.15502/9783958570276 Kitboga. (2020, August 3). Scammer Left Speechless When Caught ($4,200 Fail). YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=KuJsHVXCkJc Kuhlen, A. K., Allefeld, C., Anders, S., & Haynes, J.-D. (2015). Towards a multi-brain perspective on communication in dialogue. Cognitive Neuroscience of Natural Language Use, 182–200. https://doi.org/10.1017/CBO9781107323667.009 Moalem, S. (2020). The Better Half: On the Genetic Superiority of Women. Allen Lane. Sansom, P. (2020). Female Mosaicism: The Stronger Sex?https://itunes.apple.com/podcast/id527187069
Ich wühle mich weiter durch zehn Jahre Filmnegative, das sind also alle davon, einige absolut nicht gelabelt. Meist Farbfilm, meist Kleinbild, selten ISO 3200. Voll ins Schwarze getroffen nach dem zweiten Griff. Kann ich alten Arbeiten den passenden Raum über Archivierungsordner hinaus geben, wenn ich nicht ausnahmslos alles erneut sichte, scanne, bewerte, veröffentliche? Es gab da früher ein Death to my Hometown, aber ich meinte wirklich eher Suburbia. Sich versöhnen können mit einer Stadt, die sich die Hänge hinaufzieht nach, bei, wegen, dank zweieinhalb Jahren, sechseinhalb Jahre später.
Zyklisch komme ich an exakt den gleichen Punkt mit fast exakt gleichem Gedanken. Ich hinterfrage, warum ich für Plattformen, die mir nicht gehören, täglich kostenlos Arbeit leisten, Inhalte gestalten und zeitgleich meine Stimmung potentiell in den Keller rasseln lassen soll. Wiederholt kann ich mich selbst zitieren. "Dann aber: dass man in dem Dilemma steckt, dass man als Künstler nur sichtbar ist, wenn Andere deine Arbeiten sehen. Das Dilemma, dass man nicht nur die eigene Arbeit ist sondern diese eine Ebene von einem darstellt - und nur das."
Das Medium, auf dem ich mich mitteile, ist meist nur Mittel zum Zweck, bestimmt schließlich jedoch potentiell zu viel durch seine Form. Zu Beginn gut zum Austauschen mit und Kennenlernen von Menschen hunderte Kilometer entfernt von mir (oder zwei Straßenecken weiter), sind soziale Netzwerke später und jetzt impliziertes FOMO, Dopaminkicks und Disconnect. Das Internet muss im Kontext von historisch-kritischen Ausgaben ein Albtraum sein.
Ich will, dass die von mir selbst geschaffenen und gestalteten Räume die sind, in denen meine Hauptarbeit sichtbar ist, ich will mich nicht weiter abhängig machen müssen von einem Algorithmus, der qua Konzeption biased ist. Lachen über die kleinen Dinge und Zeichnungen, hinterlassen als Notizzettel in den Bibliotheksbüchern, durch die ich mich gerade arbeite. Irgendjemand sagte mal du willst doch nur gefunden werden und ich musste nicken und dann hinterfragen, ob es etwas anderes ist, wenn ich in meiner Lieblingsbuchhandlung vor einer Wand aus Buchrücken stehe und ein mir fremdes Buch aussuche, dessen Inhalt ich unmöglich kennen kann. Ist das nicht etwas, das versucht werden kann mit den kleinen Nischen, die ich ausfüllen möchte, egal ob beruflich oder zum Vergnügen?
Ich denke an die Leben - Kunst - Lebenskunst Vorlesungsreihe von Professor Porombka, die ich mir an der UdK angehört habe. Frage mich, wo und wie künstlerische Praxis beginnt, wo sie endet und wieso sich manche früher sehr künstlerisch tätige Menschen von ihr entfernen - sofern das überhaupt so richtig nachhaltig möglich ist. Der Kreis schließt sich wieder zum Gedanken an das nicht leben wollen im Traditionellen, Konventionellen. Wie gesagt: zyklisch komme ich an exakt den gleichen Punkt mit fast exakt gleichem Gedanken.
Lesen und Gehen und das Erzählen vom Tag. Aus der Literatur gelernt, ebenso wie aus früheren Krisen, Aufsätzen, dem Studium Generale. Wie du dich durch den Alltag bewegst, sagt mir genauso viel über dich wie deine Reaktionen auf die traurigsten und dramatischsten Dinge. Wie fühlt sich an, was dir gefällt? Ist das der Moment, an dem du merkst, was das Eigentliche ausmacht? Hast du deshalb aufgehört? Hast du dir gedacht, dass es nichts mehr zu erzählen, zu sagen, zu singen, zu beschreiben gibt? Musst du denn so dringend ein Fontane sein oder deine Sätze so langgezogen wie in den Buddenbrooks? Was ist erzählenswert? Was ist das, was du in Büchern liest? Ist es wirklich nur das Besondere, das mit den Ver- und Zerwürfnissen, ist es das Klischee, das sich durch die Feuilletons und überhypten Romane zieht? Entwickeln sich diese Romane ähnlich schnell zu Trivialliteratur wie die Bücher der Schriftsteller, die in den frühen 1900er Jahren mit dem Literaturnobelpreis bedacht wurden? Und ist vor dem, was du liest, nicht ebenso ein Filter? Woher die Überzeugung, dass das Alltägliche nicht erzählenswert, teilenswert ist? Was erzählst du sonst deinen Freunden? Hält euch nur Drama zusammen und kennen sie dich ohne dieses überhaupt? Sind die Katastrophen deines Lebens das, was du als erzählenswert betrachtest? Oder geht es nicht vor allem darum, was du wie siehst und ist nicht das erst recht erzählenswert?
Das Telefon vibriert, all das kenne ich schon. Ich beginne laut zu lachen, gehe duschen und sehe dabei dem Schatten des Laubs auf der Hauswand gegenüber beim Tanzen zu. Auf dem Fensterbrett schiebt sich ein neues Blatt aus dem alten Blattstiel. Man kann sehen, dass es wiederum schon ein neues auf dem Rücken trägt. Eventuell ist das immer so und manche gefangen in einer Repeat 1 Schleife. Ich treffe Menschen lieber dort, wo sie gerade sind. Innen wie außen. Mehr als anbieten kann man es nicht.
Johnson, Uwe. Mutmassungen über Jakob. Edition suhrkamp 1818, Suhrkamp, 1959, doi:9783518118184. Rippon, Gina. The Gendered Brain: The New Neuroscience That Shatters the Myth of the Female Brain. The Bodley Head, 2019, doi:9781847924766. Silbernagl, Stefan, and Florian Lang. Taschenatlas Pathophysiologie. 6th ed., Georg Thieme Verlag, 2020, doi:9783132429130.
Als wäre alles ein Fiebertraum gewesen. Als hätte es die letzten Wochen, Monate nicht gegeben. Ein "Sense of Urgency," wie er sonst nur zu Jahrestagen durch die Gegend schleicht. Ich habe es mir so eingerichtet, dass ich immer wieder eine kleine Stelle in mir neu entdecke. Da werden die Fensterbretter freigeräumt, der Staub unterm Bett weggesaugt, da wühle ich mich durch alte Abzüge, besprühe meine Pflanzen. Eine Art Ritual. Zehn Minuten Yoga morgens im Bad und trotzdem bekomme ich den Druckschmerz unter dem einen Schulterblatt nicht mehr weg.
Mitte Mai lande ich auf einmal und unvorbereitet im Corona-Wartezimmer meiner Hausarztpraxis. Das Zimmer, in dem ich warten soll, hat mich selbst früher zum Arztgespräch begrüßt, mein Körper erinnert sich an die Hände, die inmitten von Koliken durch meine Flanke getastet haben. Unklarer Bauch als Lebensmotto. Jetzt höre ich so halb die Gespräche aus dem Nachbarraum; es erschrickt sich der Mann vor mir, der just am Empfang direkt neben mir stand. Dann raschelt es ein Zimmer weiter: ich höre, wie sich der Arzt seine Schutzkleidung überzieht, Handschuhe überstreift, wie die Gummis, die die FFP3-Maske an seinem Gesicht halten sollen, gegen seinen Hinterkopf knallen. Das Geräusch von Schiebetüren, vor mir steht eine weiße Gestalt, so müssen doch auch Lackierer aussehen, denke ich mir. Wir setzen uns, ich versuche durch Maske und ohne Stimme zu schildern, was zu schildern geht. Vorsorge, aha. Alles aus meiner Krankenakte seit 2013 strahlt uns vom Monitor aus an. Er sieht den Vermerk zu meiner Depressionserkrankung, fragt, ob alles noch aktuell sei. Seit 2017 bin ich gesund und brauche keine Behandlung mehr. Ich huste, schildere die Symptome meines Infekts und wie das Fieber langsam sinkt. Er fragt, wie ich das wegbekommen habe. Mit Ibuprofen, sage ich, und Wadenwickeln. Die Depression meinte ich, erwidert er. Ich lache kurz, entgegne dann Therapie, Therapie, Therapie, Selbstkonfrontation, an sich arbeiten. Er finde das schön, murmelt er so leise, dass er es nochmal halb schreiend wiederholen muss, damit ich es richtig hören kann. Die Probe nimmt er tief aus meinem Rachen. Dinge tief im Rachen kann ich nicht leiden - ich würge mir das Lachen also ebenso hoch wie die Ernüchterung über das Biohazard-Zeichen auf dem Probenbeutel. Gedanken an 28 Days Later. Es ist Freitag, ich soll in Selbstisolation bis das Testergebnis da ist. Geht man jetzt noch einkaufen? Geht man noch irgendwo hin? Kann man die Briefmarke anlecken für den Briefumschlag für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung? Kann ich Pakete annehmen? Geht der Lieferdienst? Wie mache ich diesem einen Paketdienst deutlich, dass ich dort wohne, wo ich wohne, seit sechseinhalb Jahren am Stück? Ich finde die Kilopakete Nudeln wieder, die ich von meiner Familie zu Weihnachten geschickt bekam, sehe all das Porridge, das Tiefkühlgemüseimperium, denke Wohngemeinschaft und schließe seufzend die Tür zu meinem Zimmer hinter mir. Selbstisolation mit Sagrotan als ständigem Begleiter. Montag der Anruf: negativ. Ich freue mich an meinem Geburtstag vor die Tür treten zu können, ich werde sowieso nicht feiern. Ohne Familia ist es nur mein 11688. Tag auf der Erde, nicht mehr. (Ich werde nicht vor die Tür treten, dafür aber eine Benjamin Blümchen Torte essen, wie es zum Zweiunddreißigsten angemessen ist.)
Freunde, die sagen, meine Umarmungen seien qualitativ hochwertig und würden ihnen fehlen. Die erste, die ich nach zwei Monaten bekomme, überwältigt mehr als ich dachte. Seit meiner früheren Bekanntschaft mit Depression weiß ich, dass Menschen Berührungen versuchen mit Wärme auszugleichen und mehr baden. Ich reihe mich bei der Gruppe ein, die, egal bei welcher Außentemperatur, selbst versucht Wärme durch heißeres kurzes Duschen zu regulieren (Studie hier), ähnlich wie Lichtwecker beim morgendlichen Aufwachen helfen oder wie sehr es hilft, von Pflanzen umgeben zu sein. Vielleicht entdecke ich meinen Nachnamen neu, den, den ich, seit ich mich erinnern kann, perspektivisch und langfristig loswerden wollte. Generell entdecke ich einiges über mich, lerne, dass ein Leben, das für andere verlockend klingt, eines, das traditioneller gezeichnet ist, für mich keines ist, das ich leben kann und will. Dieses Traditionelle sieht man nicht unbedingt umrandet mit rotem Stift und Grenzen und klarem Auftrag. Kurz denke ich an den Mann zurück, der genau das wollte und als ich dem widersprach, den Wunsch äußerte, mir beide Handgelenke zu brechen. Ich bin froh, gegangen zu sein.
Morgens ist die Stimmung in der Wohnung am wenigsten greifbar, die Mauersegler fehlen und die Geräusche der Stadt über die Geräusche der U-Bahn hinaus. Es legt sich in die Kurve, hinter dem Haus sanieren sie eine alte Garage, hinter dieser war mal ein öffentliches Gebäude. Kräne umkreisen das, was jetzt Freifläche ist als wären es Krähen. Um die Ecke stehen die Raucher dicht an dicht um windgeschützt zu sein. Irgendjemand scherzt, dass das eher zwanzig Zentimeter als zwei Meter seien, ich drehe die Musik lauter, damit ich ihr betretenes Lachen nicht hören muss. Die letzten Wochen verschwimmen zu einem großen Klumpen, ähnlich zusammengeknüllten Taschentüchern, die man nach der Wäsche in den Hosentaschen findet. Montag ist, wenn die Elster im Innenhof dir die frisch gefangenen Mäuse auf den Kopf fallen lässt. Den Tritt wieder finden, die überreizte Lunge schonen, flacher atmen. Ich bin eine noch schlechtere Texterin als vorher schon geworden, die Benachrichtigungen sind zum größten Teil ausgeschaltet. Ich vergesse oft mich zurückzumelden. Als würde ich endlich dazu kommen, das Vergangene zu verarbeiten, als würde etwas in mir gären, als würde man wie bei neu gekauften Farbeimern erst die oben lose schwimmenden Lösungsmittel wieder mit der eigentlichen Farbe vermischen müssen. Das wird irgendwann wieder, im Zweifel braucht es einfach Zeit. Bisher bin ich immer wieder da gewesen.
Stille als lautestes Geräusch. Im Innenhof plätschert der Regen vor sich hin, eine Antwort in den Blättern, keine wirkliche Sprache. In Worte zu schieben versuchen, was noch keine Beschreibung gefunden hat. Ich lege eine Liste an. Das Gefühl, als würde man ganz dringend beginnen wollen zu rennen. Als würde der Schnee unter den Schuhen nicht fürs Schlittenfahren reichen. Als würde gleich etwas wundervolles geschehen. Als würdest du gerade alles zum allerersten Mal sehen. Als würdest du Bruchstellen in allem erahnen können. Das Gefühl, dass ein Kapitel beginnt und du gleichzeitig vergessen hast, beim Kassettendeck auf Record zu drücken. Als würde dir etwas nicht greifbares durch die Finger rinnen.
Acht Minuten und sechsundvierzig Sekunden. Das Büchlein über das Böse neben meinem Kopfende.
Mutmaßungen über. Mutmaßungen zwischen den Zeilen. Aber was soll man auch erwarten: nicht alle Monate sind wie üppige Flügeltüren mit frisch geputzter Verglasung, durch die das Licht fällt, wie es das in Filmen von Roger Deakins macht.
Wir werden einander verzeihen müssen - ich denke daran, wie manches sich so anfühlt, als wären wir alle viel zu lange im Urlaub gewesen. Oder ein Orkan hätte uns überrollt. Oder irgendetwas anderes greifbareres hätte hinter der Aussage von Spahn gesteckt. Da ist der sommerliche Wolkenbruch, der so herrlich neu wirkt, als hätte ich wirklich gerade alles zum allerersten Mal gesehen. Normalerweise würde ich jetzt in den Park schaukeln gehen, aber sie haben die Sitzflächen von den Schaukeln entfernt. Nachdenken über das Wort normal. Ich gehe meine Notizen durch, frage mich, wie oft sich dort dieser Ausdruck findet (momentan finde ich ihn unerträglich). Stattdessen finde ich lose Texte ohne Datum, nur mit Zeit.
02:01 Schaue mir Pflanzenvideos an. Für alles gibt es eine Nische. Mir fehlt Linguistik.
04:07 Flüsse, die im Hochwasser immer wieder zu ihrem alten Flussbett finden.
19:57 Ich sortiere alle Lesezeichen neu, die sich über die Jahre in meinem Browser angesammelt haben und ich seit 2008 mit mir mitschleppe. Mir fehlt meine alte Universitätsbibliothek und wie angenehm ich zwischen den Mediävistik-Regalen schlafen konnte.
02:47 Der Spam Ordner meiner Email ist gefüllt mit Angeboten für OP-Masken. Von aus Versehen gefundenen Millionen von Dollars aus Nachlässen auf irgendwelchen inexistenten Konten, die man mir großzügigerweise hinterlassen wollte, über Erpressungen wegen und mit Pornos und Malware zu unseriösen möglichen Großbestellungen von PPE. What a world. Irgendein Heinz-Christoph schickt mir immer einen Newsletter für Türzargen zu.
13:57 Sich zu jeder Jahreszeit neu daran gewöhnen, wie Fremde starren.
01:32 „Da wussten wir nämlich noch nicht, dass die Scheiße den Ventilator trifft.“ (Wahrscheinlich ein Zitat aus einem der Podcasts, die ich gelegentlich zum Einschlafen höre, wenn ich nicht zur Ruhe komme. Seit Domian beruhigen mich Stimmen im Hintergrund.)
Weniger schreiben, aber mehr davon. Skizzenbücher voll. Ich sitze auf dem Sessel in der Küche, dem am Fenster, dem mit den Heizungsrohren im Rücken, schaue den Flur entlang. Vor ein paar Tagen habe ich das erste Mal alleine meinen Vorhang abgenommen. Höhenangst und viel zu hohe Decken. Das Licht also am Morgen. Ruhe, in mir drin. Viel davon, da kriecht doch eben alles in den letzten Extrazellularraum. Bald wird alles davon ein Ort für mich sein. Endlich ein Ort, von dem ich erzählen will, mein Ort zum Ankommen, zum Anfangen. Ich kann nicht aufhören mich zu freuen.
Eddo-Lodge, Reni. Why I’m No Longer Talking to White People About Race. Bloomsbury Publishing, 2019, doi:9781635572957. Koolman, Jan, and Klaus-Heinrich Röhm. Taschenatlas Biochemie Des Menschen. 5th ed., Georg Thieme Verlag, 2019, doi:9783132417403. McCulloch, Gretchen. Because Internet. Understanding the New Rules of Language. Riverhead Books, 2020, doi:9780593189566. Swanson, Larry W. The Beautiful Brain. The Drawings of Santiago Ramón y Cajal. ABRAMS, 2017, doi:9781419722271.
you’re safe now. You’re not lonely, you have a lot of friends who love you as much or more than your family. You’ve built a life for yourself that allows you to grow and connect. You do have a long way to go with all you want to achieve and while you may think that you’re slow af in reaching your goals, let me assure you that you’re on track with all of them. Maybe just cut down a little bit on procrastination, as it can only help you in the long run.
Yes, you still laugh the way you used to laugh when you were little. Most things are still a lot more enjoyable to you when your family is around, only that you’ve changed what the term family means to you. Your nose still turns red when you cry and yes, you still don’t make a single sound whenever you do shed tears. It’s neither as frequent nor as painful as it must have been for you throughout the years. In fact, you barely have a reason to cry at all nowadays. You laugh full-heartedly, you like the way the sun feels on your skin, you like hugs. You even go for walks, on your own, without any appointments lingering on the other end of the walk. You thoroughly enjoy your company and that of others. I know how scared you used to be of others, trust me. You’ve also learned that we all get a little bit anxious or sad or angry sometimes and that it's better to take care of yourself then. Dancing it out, writing it down and having a good night's sleep before settling on negative thoughts is the way to go but try tidying your desk before doing all of this. You still like your creative mess as it helps you connect a lot of dots but starting with a clean slate (= desk) is also quite the nice thing. It also makes for better portraits and less stressful spontaneous visits from friends. You still love drawing, office supplies / stationary, reading, libraries, buying more books than you have space for, listening to music and going to the cinema. You did have to quit playing the guitar and piano because of your tendons but you'll get to learn how to play again some time in the future, step by step, beyond your favorite chord. I'll make sure of it (I'll try getting you that guitar you always wanted to have, just bear with me). A lot of healthy coping strategies have found their way into your life. You actually do keep up the sketchbook thing. You know, that thing you failed doing in your teens, this diary keeping? Just like you’re able to keep plants alive now, you stick to what you say you’ll be doing. Changing your mind doesn’t mean you’ve messed up, it means you’re learning. Growth can come in the weirdest forms, disguised as humans, books, music or experiences that don’t need any word at all. At times, you still avoid tough talks or tough love for the sake of (false) harmony. Learn from this and be and become even better, you know you can.
Trust me, you didn’t have to disappear, you never did. You can forgive yourself for all the things you felt you weren’t enough for. You felt left out the day you started going to kindergarten to the day you finally met your first proper set of friends in grade eleven. We all like being seen for all that we are and we are allowed to mourn for the memories we couldn't make when we were kids. It makes you who you are and you've turned out just fine not because of but despite your upbringing. Some things take time and you’ve proven that you have patience beyond belief. You’ve survived the grief of a lot of people close to you dying, just like you’ve survived wanting to die yourself for a long time. I’m very glad you’ve stopped wanting this five years ago, by the way. You've survived a lot of things others may not have, considering the amount of "a lot of things." There's a lot of strength in vulnerability and openness, it fuels your way of connecting with people but damn, do you love a good laugh in between heaviness. Generally speaking, you like laughing a lot. You’ve crawled out of emotional shitholes and worked hard on your self, mental health and the way you perceive the world. It’s not a dangerous place to you anymore, you’d rather do your bit to change it for the better, document it, record its quirks and good sides, all while being aware of the work that needs to be done to make it a good one for all of us.
I look forward to what you’re going to achieve in the next thirty years, you badass.
With love and a big thank you for everything,
your 32-year-old Me
P.S.: You managed to pull the whole ugly-duckling-beautiful-swan thing off without YouTube make-up tutorials, so don’t you worry about a thing. And no, you don't have to go to school reunions if you don't feel like it.