
Strangers.
New York City, Mai 2012.
Anmerkung:
Wenn es momentan schon nicht möglich ist zu reisen, weder so wirklich im In- und erst recht nicht im Ausland, reise ich mithilfe meiner Negative. Während ich mich schon seit Jahren davor drücke, mein Archiv neu zu scannen, gebe ich mir jetzt endlich einen Grund dazu. Mir fehlt das Reisen. Ich wollte mindestens einmal noch London sehen vor dem Ende der Transition Period, zum einen um nicht sofort wegen Chaos weinen zu müssen, zum anderen um mich nicht um Zollfragen kümmern zu müssen - Waitrose Milk Chocolate Digestives sind irgendwann mein Untergang. Im Ernst: stattdessen kam es anders, wir alle wissen es, wir alle wissen warum. Viele meiner Londoner Freunde haben teilweise nach Jahrzehnten durch die Krise ihre Jobs und damit oft auch ihren Wohnraum verloren, ein paar haben Freunde haben Bekannte und Freunde, die an Covid verstorben sind. Bis ich es wieder kann, also Fotos von Orten, an denen ich nicht bin, egal wie nah. Eine Liste habe ich schon gemacht von dem, was ich nochmal oder überhaupt das erste Mal sehen will.
Nun fange ich hier nicht mit London an sondern mit New York, einer Stadt, die ich in der Zukunft mal für etwas länger als einen Monat besuchen möchte um sie so richtig erfahren zu können. Wenn ich dieses Foto sehe, erinnere ich, wie die Stadt und deren Hitze sich in den Häuserschluchten um mich herumgelegt hat wie ein sehr verschwitzter Handschuh, und wie ich trotzdem sehr gern und ständig unterwegs war. Wie ich in den Schatten am untersten Bordstein von Wolkenkratzern saß und dem durch die Sonne fliegenden Staub, der wie Gold aussah, zusah.
Die meisten Orte erfahre und begehe ich am liebsten für mich, ich kreise ein wenig, setze mich auf Bänke und beobachte, mache Field Recordings und habe dann Stücke dieser Orte - im wahrsten Sinne des Wortes Zeitdokumente. Damals habe ich noch nicht gezeichnet, zumindest nicht so, wie ich es heute tun würde. Wofür ich jetzt dankbar bin: ich habe 2012 fotografiert als wäre Film nicht teuer (Faustregel: ich habe nur teure Hobbies), so wie hier habe ich in NYC viel auf 120er Rollfilm / Mittelformat mit 6x6cm großen Negativen fotografiert. Mit einer alten zweiäugigen Rolleiflex Kopie namens Haiou Seagull aus den 1970ern, die nicht mehr für mich ersichtlich scharf stellen kann - nach einem unvermittelten Herunterfallen vom Schrank, weil im Dresdner Altbau die Leute über meinem Zimmer Burpees für sich entdeckt hatten.
Warum Einblicke ins Archiv und in längst vergangene Momente? Warum nicht ein Verarbeiten in eine Serie? Wie erwähnt - ich drücke mich wirklich schon lange davor, möchte aber brauchbare und weiter (auch in Serien) verwendbare Digitalisate meiner Filmarbeiten haben und behalte mir auch vor, aus dieser Archivserie weiteres zu entwickeln. Auf der anderen Seite ertappe ich mich gelegentlich dabei zu sehr in Nostalgie hineinzufallen und möchte Vergangenes nicht zu sehr verklären. Romantiker schön und gut, Caspar David Friedrich ist einer meiner Lieblingsmaler, aber Rückwärtsgewandtsein ist nicht immer von Vorteil.
Momentan ist nicht viel mit gegenseitigem Spiegeln und während ich die Zeit der Pandemie für mich auch dokumentiere, möchte ich mich stattdessen selbst spiegeln. Was fand ich wichtig, was erinnernswert?
Und so bin ich in meiner momentanen Anpassungsstörung mit depressivem Ausschlag - darüber werde ich nicht mehr so direkt und unmittelbar schreiben wie ich es über frühere als Depression diagnostizierte Episoden tat - trotz Arbeiten durch das Archiv. Trotz, ja, allem, um mich mir anzunähern und um das, was um mich geschieht in einen Kontext einordnen zu können. In einen, den ich tatsächlich fühlen kann. Egal wie sehr ich auch zu rationalisieren versuche: es gibt so unfassbar schönes, das man finden und sehen kann, wenn man gelernt hat zu sehen. Mit anderen Worten: dieses Foto und sein Gefühl als ein passender Einstieg. It's all about the in-between and the human condition.
Die kommenden Beiträge, egal wie viele oder wenige es sein werden, werden mit wenig bis null Text auskommen. Immer mit Jahr und Ort, soweit möglich, eventuell mit minimaler Erklärung. Es wird potentiell arg Wabi-Sabi (Erklärung in einem kwerfeldein Post). So sehr Blog war es hier noch nie.
LCD Soundsystem - New York, I Love You but You're Bringing Me Down
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