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Der Herbst ist eine gedrungene, vor sich hin meckernde Amsel. Blaue Stunde, du erinnerst gelegentlich, dass nicht alle darin schwimmen oder wissen, was das bedeutet. Was, wenn sich noch nicht mal unsere Schatten berühren können? Aber dann redest du mit dem Kopf und achtest nicht auf den herumpolternden Muskel in dir; vielleicht war es sowieso zu spät, das Jahr ist beinahe vorbei.
Irgendetwas hast du scheinbar ruiniert, und sei es nur ein Weiter.
Da wäre die aufgeräumte Stadt, die bei näherem Betrachten übersehene unschöne Ecken hat - ähnlich wie die durchaus auffälligen dunkler gefärbten Eckzähne sonst sehr weißer Zahnreihen. Das ist wie mit denen, die durch die Straßen brüllen als wären sie Marktschreier, suchen sie dabei jedoch nur eine Unterkunft und wissen nicht wohin. Sie zirkeln in der rapide angestiegenen Dichte an neueröffneten Supermärkten und sitzen schließlich doch auf den unbequemen Bänken im U-Bahnhof.
Ein Herauslösen aus der Zeit ist nicht wirklich möglich, weder für dich noch für irgendeine andere Person.
Der Herbst ist ein Mann, der sich Laubmatsch mit Hundekot sorgfältig am Bordstein zur Hauptstraße von den Lederslippern schabt.
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Berlin, das unterstellte Grau, eventuell meint man eher den betongrauen Himmel, wobei, das kann auch schlichtweg eine Beleidigung Beton gegenüber sein. Dabei gibt es an jeder Ecke Farben. Seien es die teilweise altertümlich anmutend lackierten Haustüren. Es finden sich hellgrau, hellblau, dunkelgraublau, knallgrün, ochsenblutrot umrahmt von Putz, der in den meisten Fällen schon längst etwas Aufmerksamkeit verdient hätte. Oft starren die Augen aber nur in die düster wirkende Leere hinter großen schweren Glastüren und Glasfassaden. Du spiegelst dich vielleicht darin, aber es bleibt oft nicht mehr als das, schließlich geht das Licht im Hausflur von Wohnhäusern, deren Miete sich wohl nicht viele leisten können, schnell aus.
Möglicherweise ist es das innere Grau, das mit der Stadt verwechselt wird, wenn Fremde zunehmend ihre Probleme offen nach außen spielen. Schreien, grundlos pöbeln. Vielleicht ist es diese unfassbare Schere zwischen Elend und Hilflosigkeit, welche man auf den Straßen sehen kann, und den spektakulären Sonnenuntergängen, mit Tönen in pink und orange, die kein Sommer kennt.
Es liegt hier ein Ast und dort ein Stück Taube, im Fenster ein paar Meter weiter hängt ein Saxophon. Am Ende warst du einfach traurig.
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In Wohnungen die Bücherregale, als würde es nie wieder einen Auszug geben. Dielen, krumm und schief, kannst du dir da nicht leisten. Eine Bibliothek also, bestenfalls mit Leiter. Dabei sackt doch schon der Boden ein bisschen ab weil dein Bett im Raum steht.
Und es wackelt und wackelt und wackelt beim Wühlen der Maschinen und beim Graben der Tiefgaragen und dem Gesang der Rüttelplatten. Dein Herz märkischer Boden, ein wenig sumpfig, aber so, dass dort noch viel mehr drauf wachsen kann als auf normalem Grund.
Die Augen erneut öffnen, wie es manche vor einem machen konnten. Etwas erfahren, das jahrhundertelang erfahren werden konnte, aber ohne den Kontext der Zeit. Menschen und deren Rücken, keine Abkehr, ein Hinsehen viel mehr. Licht, das durch Fenster fällt und Räume erst zu diesen macht. Versatzstücke. Von diesen hast du viel gelesen, manchmal gesehen. Die in dir drin und die in den Dingen um dich herum.
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Wie scheinbar kaum ein Ort dich so wirklich vorbereitet auf das, was kommen kann. Kaum einer. Wie möglicherweise daher das Gefühl kommt, dass du das, was du tust, nicht so wirklich kannst. Oder du den Erwartungen, denen du dich ausgesetzt siehst, nie ganz gerecht wirst. Denkst du. Wie es zumindest keine Institution kann.
Wie du immer weiter immer wieder weiter lernst, wie es das braucht, wie es das Leben sowieso so will. Wie du immer wieder zurückkehrst zu den Gedanken, die du dir während deiner Ausbildung, deines Studiums immer wieder in deinen Kopf gelassen hast. Kann ich? Darf ich? Werde ich? Wirst du. Du wirst Tage leben, an denen es sich so anfühlt, als wäre deine Stimme nie deine eigene gewesen. Als wäre das nur eine Art Scharade gewesen, als könnte sie nie deine sein oder werden. Diese Tage werden im Vergleich zu all deiner Zeit selten sein. Erinnere dich daran, wenn die Fragezeichen versuchen deine Finger hochzuklettern.
Aber dann: du sagst gelegentlich und meinst die ganze Zeit. Und doch meinst du etwas Anderes als deine Fragezeichen.
Pudeldame - Sécurité // Yin Yin - One Inch Punch
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Du liest dich durch erzählte Geschichte, ein paar Worte könntest du unterstreichen: gelegentlich je Zeile, manchmal je Seite. Als hätten Menschen Zeit gehabt sich mit sich selbst zu konfrontieren, wenn es ums Nach-Vorne-Sehen ging, dabei gab es immer mehr, das es sich gelohnt hätte zu betrachten.
Eventuell ist das ähnlich innerer Bergabgänge, da ist ein wenig Erdrutsch, der sich verselbständigt, mit immer mehr Geschwindigkeit nach unten schießt und als Lawine im zerbrechlichsten wüten kann. Wie soll es sonst auch sein.
Berlin im Herbst, generell, deine Städte im Herbst, wie die einen maulen über das Grau, das an jedem Ort absolut hässlich sein kann. Liegt es daran, ob man eine Stadt als selbstredend anerkennt oder weist man ihr Eigenschaften zu, um für sich sagen zu können, dass man immer gehen kann? Gehen können. Eher gehen wollen.
Ein paar Wege kannst du nachzeichnen in den Büchern, die du momentan liest. Kannst aus anonymisierten Berichten Schreibender erkennen, wo genau sie leben. Der Drang zu schreiben also, diese für manche unverständliche Tätigkeit. Belvedere, abgestanden. Du lachst ein wenig. Ein Text, den so gut wie niemand je zu Gesicht bekam. Einer, den du geschrieben hast, ohne je irgendein Belvedere zu kennen. Ein Text, der so alt ist, dass du dich nur noch an die beinahe unerträgliche Dichte eines beschriebenen Schweigens zweier Personen erinnern kannst. Das Schweigen ist immer am lautesten, Stille für die einen die einfachere Reaktion, hier und da zählst du dich zu diesen einen. Für die anderen nicht auszuhalten, wie ein frischer Mückenstich auf feiner, dünner Haut, unter der Kniekehle, am inneren Oberarm.
Dichtes und überhöhtes Erzählen, um fühlbar zu machen, wie schwer gleichzeitige An- und Abwesenheit wiegen kann. Aber du bist immer nicht da gewesen. Aber du hättest doch immer gehen können, du hättest dich nur so wirklich, so richtig, so nachhaltig dafür entscheiden können. Du hättest das, dein, diese Pflaster kurz und schnell, wenn auch schmerzhaft, abziehen können. Jedoch ziehst du noch immer, ziehst seit Monaten, möglicherweise sogar seit Jahren. Hättest du dich dann nicht auch dafür entscheiden müssen, dass es ein Stattdessen als Ausblick hätte geben müssen? Gut, nimm dich ein wenig zurück, zu kryptisch willst du nicht sein.
Ja, du merkst schon wieder, wie die Themen zu dir finden. Oft sind es die gleichen, die dich seit Jahren, Jahrzehnten fast, heimsuchen. Nur deine Art sie mitzuteilen ändern sich. Auch da gibt es Unterscheidungen, wie mit ihnen zu verfahren wäre. Schließt du dich denen an, die weitermachen, weiterarbeiten, feiner herausarbeiten, ums Thema Kreise ziehen, die modellieren, oder bist du bei denen, die aufhören, abschließen, Endpunkte sehen, die an die Wand werfen, was sich überholt hat?
Wie auch immer du dir die Fragen stellst, wie sehr du in dein persönliches Solo gehst, wie sehr du vergisst, worüber du gerade vor anderen Menschen gesprochen hast: irgendetwas findet sich im Lauf der Dinge immer wieder. Was das bedeutet, bedeuten kann, weißt nur du.
Was ist das letzte, das du begonnen, das letzte mit dem du aufgehört hast? Und würdest du dich erneut so entscheiden?
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