Sich schließende Kreise, irgendwo in Charlottenburg (mal wieder). Sinustachykardie, kein Grund zur Sorge, das geht vorbei, das ist nach schwerem langem Infekt durchaus normal. Du nickst, sprichst nicht viel, welche Fragen solltest du auch stellen. Beim Belastungs-EKG Beine wie zu lang gekochte Spaghetti, beim Langzeit-EKG Herzrasen in Ruhe. Das wird also ein langer Weg zurück zur Form; die Tage kompakt, das Licht kompakter. Aufatmen, als der kürzeste, längste Monat beginnt.
Ein Beginn, wieder einer. Herausfinden, was wie Zeit kann; für sich noch immer erörtern, wie lang Zeit dauert. Vergessen, erinnern, wieder vergessen - monatelang; verschwunden für die einen, nicht greifbar für die anderen. Und genau da liegt ein Missverständnis: vielleicht bist du nicht verschwunden, sondern endlich aufgetaucht.
Du liegst in einem riesigen Plastik-Donut mit Sockel, an dessen Seite Somatom Emotion steht. Du fragst dich, was genau das über einen Computertomographen sagen soll. Die Person mit den Gefühlen liegt in ihm, großer Raum, kaltes Licht, Krankenhaus eben. Trotzdem ist da ein wenig Neugier gemischt mit Ehrfurcht. Klare Anweisungen werden von der Maschine kommen. Einatmen. Luft anhalten. Normal weiteratmen. Du starrst an die Decke, wunderst dich, dass es nicht nach Klinik riecht, die Flexüle in deinem linken Handrücken schabt unangenehm in deiner Vene herum. Du denkst an das Gespräch mit dem Radiologen, es auszuschließen oder es nicht auszuschließen, das ist hier die Frage. Du siehst ihn nur von unten, über Kopf. Als wäre er nur herangeschwebt, um aus der Ecke über dem Ende des Sichtfelds zu erfragen, ob es so dringend sei, eine Lungenarterienembolie auszuschließen. Ein wenig musst du lachen, ähnlich wie auf dem Weg von deiner Hausarztpraxis in die Notaufnahme, als im Rettungswagen das Blaulicht angeschaltet wird. Nenn es Überforderung, wenn du willst. Du wirst den Radiologen nach dieser Frage nicht mehr wieder sehen.
Mit Druck landet dann das Kontrastmittel in deinem Körper; der Pfleger hatte dich schon davor gewarnt, wo es sich wie anfühlen wird, du erschreckst dich ein wenig. Es verteilt sich sehr schnell in deinem Körper, schneller, als du es erwartet hattest. Ein schwer beschreibbares Körpergefühl. Dann ist das alles vorbei, du hättest zu gern die CT-Aufnahmen mitgenommen, deine Lunge und dein Herz hättest du sogar gerahmt. Es wird am Ende eine Notiz eines unauffälligen Befundes auf einem Arztbrief mit vielen Blutwerten, die du später im Versuch eines Verstehens in eine Tabelle mit anderen Blutwerten übertragen wirst. Du weißt schon, Tendenzen, Referenzrahmen. Die Hämatome um die und unter den Einstichstellen der Flexülen wirst du noch Wochen später sehen. Das war dann also "lediglich" dein Herzmuskel und dessen Entzündung, das ist er immer noch. Das ist Herzrasen, der unvermittelte Abfall deiner Herzfrequenz, ein aus dem Takt geratenes Hochfahren. Das ist die unvermittelte Synkope. Immerhin keine LAE.
Stuttgart, September
Über der von Wänden umzäunten Zone voller Teppich und unbequemen Sitzmöglichkeiten hängt ein Schild, auf dem "Success Lounge" steht. Vegetarisch bedeutet hier zumeist Baguette oder Brötchen mit Käse, Tomaten und Gurke.
Berlin, Oktober
Auf dem einen Plakat im Bahnhof steht es sei Cuffing Season; an den Häuserfassaden suchen die Wespen Einlass.
Sich eingestehen, wenn es Zeit ist, eine Idee hinter sich zu lassen. Dir fällt eine Last von den Schultern, die du nicht adäquat vermitteln kannst. Vielleicht, weil das Warten viel schlimmer ist, wenn es auf beinahe unbekannte Sicht in deinem Leben steht, ohne Garantie auf Auflösung. Als würdest du, würden sich deine Teile erst so zusammen schieben, zusammen schieben lassen wie Schiebepuzzle. Als hätte es die Zeit gebraucht. Bewusste Entscheidungen treffen, mit Wissen um die Extraarbeit, die es immer gelten wird zu leisten. Im Vergleich. Es geht dir dabei so gut wie noch nie zuvor in deinem Leben. Beinahe so, wie Hesse es schrieb. Dann fängt eben - zum Glück - etwas Neues an.
Zwischen Fulda und Berlin, August Seen, verteilt über die Landschaft wie Schokostreusel auf Butterbrot. Menschen, mit denen du Erlebtes teilen kannst. Ein paar Wolken, Sonne dahinter, bis zum Boden gehende Lichtstrahlen. Es hätte auch Sand aus der Sahara sein können. Aus dem Zug und dem Wunsch entgegensehen, mehr Zeit zu haben für eine Landschaft, die nicht die deine ist, nicht die deine sein wollte, aber hätte sein können. Abzweig Himmelsthür, irgendetwas mit Verspätung. Der Mann gegenüber zieht sein „Life is Pain“ T-Shirt zurecht. Im Grunewald brennt der Wald.
Berlin, August Zu wissen, dass es irgendwo eine Möglichkeit von dir gibt, gegeben hätte, die an irgendeinem Punkt einen anderen Weg eingeschlagen hat. Ein großer Trost, ein schönes Aufzeigen von Optionen. Wie bei Pflanzen, deren Wurzeln sich Bahnen schlagen: hier unter dem Bitumen hindurch auf die andere Seite der viel befahrenen Straße, dort an die Stelle, an die Luft, die die Menschen passieren. Nach unten hin verjüngender, feiner, verletzlicher. Schon Erlebtes, Entschiedenes, das sich ebenso viel Raum nimmt wie Erinnerungen, die du mit jedem Erinnern größer und wichtiger werden lässt. Echte Geschichten anderer, gelegentlich fremder, Menschen anziehen, als wären es Kleider; so viele Lagen übereinander, dass sie nicht mehr zählbar sind. Alles vernähen miteinander, bis es keine Möglichkeit gibt, sich zu bewegen. (Axiom)
Kino: Everything Everywhere All At Once, Axiom, Die Magnetischen
14:35 Uhr, Friedrichstraße Es wird passieren, ich hoffe du weißt es noch immer.
14:45 Uhr, Kulturkaufhaus They are very dreamy, but they are not the sun.
08:31 Uhr, Potsdamer Straße Der Kopf immer noch eine Wetterumbruchstation. Viel zu hell, nicht zu laut, die Hauptstraße schläft, die Busse können pünktlich rollen.
10:12 Uhr, S+U Friedrichstraße Der erste Saufkoffer des Jahres, der dein Blickfeld streift, steht fast vergilbt in einem der Souvenirläden, an denen du vorbeifahren musst. Während du dich fragst, was das soll, hast du “Menschen an einem Montagmorgen zum Lächeln bringen durch eigenes Lächeln“ zur Herausforderung deines Tages gemacht. Erfolgsquote 25%, Endgegner Regen.
18:37 Uhr, Kantstraße/Theater des Westens Am Filmpalast wieder der Jazz. Der Mann mit Saxophon, der wie damals nach Fabian die Stadt vertont, als könnte sie nicht schöner sein. Neben dem S-Bahnbogen an der Bushaltestelle übergibt sich jemand auf die Reste einer Schranke.
17:08 Uhr, Tiergarten-Süd Irgendjemand hat mit Kreide “Frieden“ und “Ruhm“ in Kinderschrift, aber auf Erwachsenenhöhe, mehr an die Hauswand gemalt als geschrieben. An die Wand, die selten Licht bekommt, vor der die Amseln für ihre Nester suchen und beinahe im Graubraun des nicht wachsen wollenden Rasens verschwinden.
13:45 Uhr, Potsdamer Platz Schulklassen und (wieder) leere Betonsteppe. Menschen, die Schneisen fotografieren. Big City Life, this place is healing. Kurzsichtigkeit als Standortvorteil. Nichts scharf sehen können ohne Sehhilfe bis circa 30cm vorm Gesicht. Damit strategische Nutzung des natürlich eingebauten Blur-Effekts im Sommer.
tl;dr I
Beginnen zu schreiben, einschlafen, vergessen, dass Textteile existieren. Komplett neu von vorn beginnen zu schreiben, abgelenkt sein, vergessen, dass Texte bestehen. Und von vorn. An all dem schreibe ich seit Wochen, wenn nicht gar Monaten. Das übliche du weicht einem ich, schlichtweg, weil mein Erleben in diesem Kontext nicht für andere sprechen kann oder will. All das wird aufgeteilt auf mehrere Texte, wird ähnlich umherspringen wie es teilweise in meinem Denken geschieht, getrennt nach Absätzen. Und inmitten der allseits bekannten Einträge, die hier zu lesen sind, sein. ADHS ist ein Teil von mir, ich bin zwar high-functioning im Vergleich, aber warum verdecken was ist.
Vor mehr als zehn Jahren schrieb ich über meine erste aktiv so benannte da diagnostizierte Depression. Während die Diagnose eine klare Benennung war, versuchte ich die Erkrankung und meine Wahrnehmung immer und immer wieder metaphorisch zu beschreiben. Sonst könnten Personen, die das noch nie erleben mussten, das nicht nachvollziehen. Dachte ich. Worte, auf die sich alle einigen können. Für die einen bedeutete das der schwarze Hund, für mich das schwarze Loch in meinem Kopf. Irgendwann fraß aber eben dieses Teile meiner Person auf und ich deutete mich in den schlimmsten Phasen dieser Erkrankung zu dem um, mit dem ich eigentlich nur etwas Abstraktes darstellen wollte. Um es greifbarer zu machen, um es verständlicher zu machen. Da ging es hier um meine Therapiesitzungen, da ging es dort um alles zwischen ihnen. Allwöchentliches sich vor einer objektiven Person aus sich selbst schütten um sich in Textform wieder einzusammeln. Als wäre man ein Mosaik. Damals habe ich das unbedingt gebraucht - um mir eine fühlbare, mit dem Finger erkundbare Begrenzung zurückzugeben - und heute externalisiere ich auf ganz andere Art und Weise.
Schreiben war für mich schon immer eine Art direkter Zugang zu meinem Kopf. Eventuell, wahrscheinlich, womöglich, sagen das viele andere Schreibende ebenso. Das Sichtbarmachen von Gedanken, Prozessen hinter und mit eben diesen sowie das Verarbeiten verschiedener Perspektiven in mir selbst - das und viel mehr war und ist Schreiben für mich. Vieles sortiere ich erst so richtig in den Momenten, in denen ich damit spiele, eine Stimmung so zu kondensieren, dass es fast schon Stahlbeton sein könnte, oder sie so fließen zu lassen, als würde man dem Staub beim Fliegen in der Abendsonne zuschauen. Stahlbeton versus Gold, das sonst niemand sieht also. Das Gefühl im Detail erfrage, erschreibe, mache ich mir besonders in Textform greifbar. Benennen, was in meinem Körper ist, spürbar ist, bemerkt wird. Es benennen wollen, damit es nicht überlagert wird vom Kopf. Ohne Gehirn für keine Person jemals ein Gefühl. Welch Ironie.
Nach der Dusche nass in der Wanne stehen und feststellen, dass weder Handtücher noch Bademantel im Bad bereitliegen. Freunde, die zu Besuch kommen und mit mir zusammen den halb leeren Becher Joghurt vom Nachmittag auf der Waschmaschine vorfinden: ah, hier ist der? sagen, lachen und sich peinlich berührt umschauen. Wenigstens ist es nicht wie beim letzten Mal der gesamte Einkauf, den es zu kühlen gilt, den ich in der Küche auf dem Stuhl stundenlang habe stehen lassen und teilweise wegwerfen muss. Meist lachen die Freunde mit mir mit, erst seit letztem Jahr traue ich mich, ihnen diese Seite zu zeigen und nicht zu versuchen, dafür zu überkompensieren. Als würde ich in einigen Aspekten mein Gehirn austricksen müssen, damit es der Norm entspricht. Meist funktioniert das, früher trug dies zum Leidensdruck bei: wie anderen Menschen vermitteln, dass man unter etwas leidet, das diese noch nie in der eigentlichen, unkaschierten Vehemenz erlebt haben?
Zurückdenken an die Präparate im Medizinhistorischen Museum. Lungenflügel eines Nichtrauchers. Stracciatella. Ich denke an den Staub rund um die verschiedenen Bundesstraßen, die meinen Kiez kreuzen. Swiffern, Staubsaugen.
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ich ein ausführliches Diagnostikinterview um herauszufinden, ob bei mir tatsächlich eine ADHS - egal welches Subtyps - vorliegen könnte. Es würde bis Mitte Dezember dauern, bis es zu einer finalen Diagnose kam, seit Mitte des gleichen Jahres wusste ich schon um die Ergebnisse. Dazu gibt es zwar noch weitere Sachen die anmerkenswert wären, aber aus Gründen lasse ich diese aus. In der Zwischenzeit hatte ich mit der Ungewissheit auf der einen Seite und dem Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber Professionals auf der anderen zu tun. Die Suche nach inneren Leitplanken, die durch den gesamten Prozess erstmal ins Wanken kamen. Das einzig Gute in diesem Kontext an der Pandemie: wenn ich weine, egal ob vor Psychiater:innen oder vor meinem Freundeskreis, kriegt es niemand mit, Maske sei dank. Zwanzigeinundzwanzig war dadurch Fluch und Segen zugleich. Eine Benennung, ähnlich wie vor mehr als zehn Jahren mit der Depression, tat hier ihr befreiendes Übriges. Eine merkwürdige Melange aus Erleichterung und Überforderung. Welche Schritte gilt es jetzt zu gehen, was genau bedeutet es, der Lebensrealität endlich eine Erklärung geben zu können?
Wenn man mir sagt, ich sei verkopft, stimmt das. Ebenso wie es stimmt, dass ich sehr emotional bin. Es gibt einige, die mich beschrieben als „wenn du dabei bist, bist du 100% dabei, wenn nicht, dann eben deutlich mit von dir geäußerten 0% - es sei denn, man kann es dir schmackhaft machen; bei Liebe beobachtest du, aber solange du da bist, bist du zu 100% dabei“. Diese beiden Eigenschaften habe ich eine Zeit lang nicht zusammenbringen können und auf eine Art habe ich das erst so richtig kurz vor der 30 gelernt. Einen großen Teil meiner 20er habe ich in Therapie verbracht, um ein Symptom, eine Begleiterscheinung zu bearbeiten.
Es gibt so viele Eigenschaften in mir, die es im Nachgang des Ausfüllens verschiedener Dignostikbögen zu hinterfragen galt. Es gab immer wieder diese feine Linie zwischen „was bin ich“ und „was ist die Diagnose“. Darüber hinaus sperrige Begriffe. Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn, generell die Begriffe Krankheit und Gesundheit, die schon immer mit mehr oder weniger fransigen Rändern versehen und Teil meiner Lebensthemen sind. Dazu kommt Leidensdruck, der objektiv messbar zu sein hat und der lange verschüttet lag unter Lagen aus Scham, in Therapie reparierten Leitsätzen, innerem Tüll und Überraschung.
Die erste existenzielle Krise kam als ich Ferdinand de Saussures Konzept der Semiotik kennenlernte, dass hinter grundlegenden Wörtern andere Bilder im Kopf liegen, dein Konzept eines Baumes nie zu hundert Prozent meines sein könne. Wie kann ich mich also je so ausdrücken, dass andere exakt wissen, was gemeint ist, mit den gleichen Bildern vor Augen? Damals war ich einundzwanzig und in mir brach auf der einen Seite etwas zusammen, auf der anderen kämpfte sich seit diesem Zeitpunkt etwas an dieser Feststellung ab. Die Entfremdung kickte so richtig: fast tausend Kilometer Luftlinie nach London, ein Gefälle der Gemüter und wie ich vor allem mir Entscheidungen übelnahm. Es wäre zu korrigieren: wie ich mir übelnahm, nach Deutschland, nach Dresden zurückgekehrt zu sein, auf Anraten, Druck, mit einem Gedanken, dass man eben sein Leben geradlinig leben muss.
Mittlerweile weiß ich es zum Glück besser, tatsächlich mehr als acht Jahre schon: es ist eine Bereicherung, dass Sprachbilder und Sprachkonzepte unterschiedlicher Personen nie zu hundert Prozent deckungsgleich sein können. Vielfalt, Schönheit unterschiedlicher Perspektiven - und seien sie nur um wenige Grad unterschiedlich oder die Augenlinie auf anderer Höhe - all das macht das Leben besonders liebenswert. Und Menschen mit Kurven in ihrem Werdegang können Augen auf andere Art öffnen und darauf verweisen, dass alles immer am Werden ist.
Ebenso ist mir seit einigen Jahren bewusst, wie viel Glück ich bei und trotz all dem hatte. Das betrifft auch die Menschen, die in mein Leben traten, von denen einige blieben, einige gingen; von allen konnte und durfte ich etwas über sie und mich und das Leben lernen, über meine Moralvorstellungen, Werte. Gleichzeitig durfte ich lernen, in welchem Bereich ich vermeintlich konservativ bin: in meinem Sicherheitsgefühl. Von der Depression blieb übrig, immer so viel Geld haben zu wollen, dass ich für mich selbst sorgen kann, unabhängig zu sein, das Bedürfnis, eine Art Sicherheitsnetz zu haben. Die Erinnerung an Momente, in denen es prekär zuging, was zu unnötig mehr Stress geführt hat und das Gesundwerden verzögerte. Das bedeutet ebenso, dass ich etwas länger benötige, bis ich ins Ungewisse springe, allerdings hält es mich nicht davon ab überhaupt zu springen. Wissen um Gegensätze in dem, was nötig ist und an dem ich mich durchaus stoße. Grundroutinen, teilweise strikter als für andere, benötigen, sie gleichzeitig als zu einschränkend ablehnen. Das mit dem Sicherheitsbedürfnis gehört dazu.
Der erste Herbst war ein Rohbau, da vorne an der Ecke. Der Weg zu den Linden war Frühling; der erste Sturm, der erste tiefgreifende Petrichor schon Sommer. Du bist nicht nur der feine Sommerregen, auch der starke, deutlich vor seiner Zeit kommende, aber du weißt, dass auch das nichts zu bedeuten hat. Nein, falsch - es bedeutet mehr als du zugibst. Gelegentlich das Bedürfnis, lieber noch ein wenig darin zu baden anstatt darüber zu schreiben. Haubentaucher und Orte und Gefühle, die verspätet kommen.
Vielleicht haben wir uns falsch ausgedrückt, missverständlich. Kurz vor der Kasse Eso-Synth CDs zu Orten, an denen du nie warst. Inseln, auf dem Cover übertrieben in Nebel gelegt, zu ungerechtfertigt friedvoller Pan-Flöte. Ein Meme als Beschreibung der Welt. Oh Brasch, was ist da nur verlorengegangen.
Irgendwo, immer: viel zu kleine schwere Handtaschen, die in Ellenbogenbeugen hängen. Du stellst das nach mit schweren Einkaufsbeuteln und lachst, während du die Straßenseite wechselst.
J fragt, ob es schon mal die Idee gab „ein Buch zu schreiben“ und während es immer Worte gibt, in die man sich einwickeln mag, blieb es dann doch bei dir meist fragmentarisch, wenn es ums Veröffentlichen ging.
Du, vor dem Bücherregal, Wolf oder Berg oder Tokarczuk, Hein dazu; Zutrauen kein Unding, Liebe kein Phantom1. Wie es - alles - sich aufeinander aufbaut, Stein für Stein, wie mit Worten. Später merkst du, wie du es in allem mittlerweile als gesund empfindest: das Leise, das schöner wirkt als das Laute. Flaggenmasten voller roter Fahnen braucht es nicht mehr. Zeit nehmen willst, musst du dir, Zeit. Angenehm, warm.
Was hast du früher gewütet, bist losgestiebt, was konntest du deine Eindrücke und Empfindungen dann nicht mehr auseinanderhalten, was hast du gebrannt, dann beinahe sofort. Was hast du dir nur damals verwehrt zu lernen: das ist nicht wie mit dem Schreiben in einem Rausch; wie konntest du das früher als gut für dich empfinden. Als wäre es für dein Gehirn ein Nahkampf mit Elstern um das Glänzendste, Aufregendste, und Kurzweiligste. Um etwas, dem du dadurch zu wenig Bedeutung schenkst. Zurücknehmen, dich, um dem um dich herum gerecht zu werden. Atmen, tief; beobachten, zusehen, mit den Fingerkuppen die Formen nachfahren, gelegentlich bis dabei neue entstehen; glauben können. Dinge nehmen, wie sie sind und kommen wollen.
1 Wolf, Christa. Kein Ort, Nirgends. Suhrkamp BasisBibliothek, Suhrkamp, 2006, p. 66.
Menschen, die dich nach vorne treiben, nicht nur ermutigen, genau die. Die Paroli bieten und Anstöße geben. Die, die dich inspirieren weniger apologetic zu sein für all deine unterschiedlichen Interessen, die, die antreiben. Die die überhöhte - am Ende aber rhetorische - Frage nach dem guten Leben, die für die einen oder anderen immer wieder am Horizont erscheint, mit dem Vorweisen des eigenen beantworten können. Schwierigkeiten und andere Fragestellungen hin oder her. Die, denen du in ihrem Drive auf deine Art folgen willst. Mehr davon. Ein nachhaltiger Wurf hin zum Tun, der auch wahrgenommen werden will.
Kleine Klickmomente, und sei es nur darum. Genau das, genau dafür, immer wieder.
Du fragst dich wie viel Leben in wie wenige Jahre gestopft werden kann, wie viel täglich verlorengeht an dem, was hätte werden können. Das kann niemand mehr gut trennen von dem Alltag, der für gewöhnlich alles überdeckt, was auch nur im Ansatz nach Weltereignis schreit. Es bleibt nun wieder, wie seit Wochen: die Worte gibt es, nur die Sprache fehlt. Ein Vorhang fällt nach unten, er hebt sich nicht mehr komplett. Eventuell sollte exakt jetzt geschrieben werden. Schreiben als Muss, als Beschreibung, wie all die Zeit zuvor schon. Du denkst an Nünning, denkst dir, dass das doch von allen nur als unzuverlässig erzählte Geschichte bewertet werden kann. Falscher Pathos hat nun keinen Platz. Wenn schon keine Worte, dann wenigstens Zeichnungen: mechanisch, Schema, genau, mit weniger Emotionen verbunden. Mindestens, immerhin das, etwas allgemein gültiges, das alle betrifft, alle gemein haben, in allen so oder so ähnlich funktioniert. Wenn sie leben.
Da in der Straße, in der zwei Adler direkt nebeneinander liegen, unironisch jeweils um I und II erweitert, werden derzeit die Spuren von Jahrzehnten entfernt. Stammhaus Lieblingscafé, ein bisschen alter Glanz, das riecht nicht nur in den Toiletten so, das sieht man im Alter der Spiegel; im Sommer der alte feine Schotter in den Schuhen, hohe Decken. Ginge es nach Etagenhöhe, hätte deine Wohnung ein Grand Hotel werden können. Meter weiter Fassaden mit Glas über zwei Etagen, die im Beton verankerten altmodisch ausschauenden Heizkörper ähnlich hoch. Kisten, die sich in der Spiegelung des Sonnenlichts der in die Jahre gekommenen Häuser gegenüber auftürmen. Ein paar Meter weiter noch die Reste von Liebe, Sex und Träumen, ein heruntergekommener Industrie-Hinterhof, der so gar nicht mehr in die Gegend passen will. Eine Krähe hackt einer Taube eben doch ein Auge aus.
Träge schiebt der Frühling sich selbst an, die Mäntel noch farblos vor lauter Kälte. In der Sonne sitzen, da an der Ecke, wieder, die Notizbücher in den Taschen. Backstein, gelegentlich. Und es weht das Moos vom Dach, kein Asphalt mehr aufgebrochen von Eis, der Kanal ruhig, beinahe müde. In Kreisen ziehen, den Radius erweitern, die großen Zehen außerhalb des Gewohnten. Von Altem Abschied nehmen, im Guten, es in sich arbeiten lassen, weitermachen. Eine Idee, wie das Leben, das du erreichen, dir erarbeiten willst, gelebt werden will, hast du schon länger. Checklisten, die dich daran erinnern. Du, wie du dich daran erinnerst: du hast lange genug gewartet. Aber ein Beginn will eben ebenso angefangen werden. Things do accumulate.
Das ist wie mit den Zugvögeln. Ein Hin und Her, lieber warm, manchmal ahnen die Leute, wenn du wieder zurückkommst, kündigst dich laut an, in der Nacht die Gänse, wie du. Sie erzählen nichts über dich, haben dich vielleicht in der Luft gesehen. Von oben, durch eines der wie Augen in die Himmel starrenden Fenster, von der Seite, vorbeirauschend der Zug. Lernen, dass alles einen Takt hat, nur den fürs eigene Leben gilt es selbst zu finden, zu bespielen, zu begründen. Wie die Wellen am Strand, immer wieder, zuverlässig wie die Jahreszeiten, mittlerweile mehr oder weniger ausgeprägt. Da ist kein Packeis mehr unter den Füßen. Der Fünf-Minutentakt der U-Bahn, Haltestellen, Linien, Strukturen, andere Orte mit Namen, die du lernst auszusprechen. Ein neuerliches Überrascht-Sein, auch hier ein Zurückkehren, mit weniger Begründung. Welche Worte solltest du auch finden können dafür.
Aber dann gibt es für alles einen Ort. Einen, wo die Dinge hingehören, die Decken und Erinnerungen und die Straßen zu eben diesen. Es wird sie wieder geben, wenn nicht gar am gleichen, nicht demselben Ort. Der beinahe unerträgliche Schmerz, wenn der Fingernagel zu schnell von Haut befreit wird, ein Hineinschieben in den Nagelfalz, damit man den Mond sehen kann, zumindest sagte das deine Großmutter immer, wenn sie mit ihren viel zu spitzen Nägeln die Welt gen Handgelenk zu schieben schien. Was hast du dich immer gefragt, wie viel Hände erzählen würden, wenn sie es könnten. Du weißt schon, Object Permanence und das Vergessen. Ein Körper, an einem Ort, vor einem vielleicht, irgendwann wieder.
Das Erleben eines Ausschnittes einer Perspektive. Einer, die unzählige Andere ebenso gesehen haben müssen. Vorhang, Struktur, Abstraktion, Intellektualisieren, jedes Mal von vorn. Entscheiden, später Orkan zu sein, jetzt lediglich sein Auge. Die Waldränder werden zur Genüge vor sich hin stehen, Zeugen sein, still. Doch was haben wir alle nur gesehen, wenn niemand da war um zuzusehen.
Selbstverständlichkeiten und Trauma, sie gehen Hand in Hand. Auf diese Worte wartet niemand. Noch nicht einmal du.
Still stehen, ruhen. Dann blickst du mit Pupillen, die noch nie so sehr sehen mussten, voran. Selektives Sehen, das sich niemand leisten darf.
Das darf alles nicht nur als Bild vor einem geistigen Auge bleiben, das muss raus, aufs Papier, mindestens eben an einen Ort, der dem Bild gerecht wird. Einem, der nicht nur einem riesigen Teig an Ideen gleichkommt, in dem nicht mehr unterschieden werden kann, wo die eine Idee beginnt oder aufhört. Nein, ein Ort muss es sein, an dem die einzelnen Töne auseinander zu halten sind.
Die meisten deiner Jahre hast du damit verbracht dich zu sehnen. Mal leidenschaftlich, mal ruhig, mal traurig, mal relativ gefühllos. Nach dem Licht da am Ende der Straße, kurz vor den Schottersteinen, bevor sich der Weg entlang der Bäume wie ein Nackenkissen um die offene riesige Wiese legt, Geburtsstadt im Rücken. Nach dem Blick aus dem Fenster des ersten Gymnasiums, der ein wenig Weite versprach, inmitten von Plattenbauten, die Türme blau und trotz der Anzahl ihrer Einwohner merkwürdig leer bis einsam. Sich an Orten befinden, an denen man letztlich nicht ist, sich dessen bewusst sein. Andere Straßen, andere Plätze, andere Menschen, gelegentlich schildern sie ein vergleichbares Gefühl. Inmitten voller Städte die Anderen vor lauter zugewandter rennender Rücken nur dann sehen, wenn man stehenbleibt. Kurz, tief einatmen, die nächste S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, der nächste Bus, all das in kurzer Zeit, zwei, fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig Minuten. Ein nicht enden wollender Strom an Richtungen, selten ein Hakenschlagen. Das ist nicht so wie in Filmen, unabhängig davon, wie sehr einzelne Szenen in deinen Gedanken bereits, gelegentlich wiederholt, aufgetaucht sind. Es ist egal und dann doch wieder nicht.
Einige Orte, nach denen es sich zu sehnen lohnt, dehnen sich in deinem Empfinden aus, andere ziehen sich zusammen. Ebbe und Flut. Da werden wenige Wochen wichtiger als Jahre, dir wohlbekannte Orte auf einmal kleiner als sie es je sein konnten. Ein normales Leben in einem großen Leben, umgeben von einem noch viel größeren. Matrjoshka, du kennst es nicht anders. Fein bemalt und doch abgegriffen. Die, die neben überdimensionierten Murmeln aus Marmor bei deiner Großmutter ihren Platz fanden, auf weißen Spitzendeckchen auf Beistelltischen, an deren überraschende Kühle du immer wieder denken musst.
Im Winter nach Hause kommen und das Wasser im Topf von vor ein paar Stunden ist noch warm. Sturm, einer der ersten, Lametta, das an großen schweren Lampenschirmen hängt und verweht. Menschen, die auf Bildschirme starren, Licht, das im Augenwinkel als warm durchgehen könnte, beim zweiten Blick aber kalt auf die Straße fällt. Menschen, die vor bodentiefen Glasfassaden stehen bleiben, als könnten sie das Leben nicht fassen. Nachtschwärmer mitten am Nachmittag, fast wie bei Edward Hopper. Die Häuserzeile an der Kreuzung, eine von ihnen. Ein Rahmen aus Kopfsteinpflaster, über das die Fahrradklingeln der Lenker fremder Menschen tanzen. Du sitzt insgeheim noch immer dort, unter einem der Kastanienbäume und wartest geduldig. Siehst der Nacht dabei zu, wie sie gen Westen fällt.
Was warst du herrlich am schäumen sonst, wie hättest du dich treiben lassen durch die Welt, irgendwo hingetragen von Aluminiumröhren in verschiedensten Ausfertigungen. Wind und Gischt im Gesicht, alte Orte, nicht wiedererkannt, dafür neu gesehen. Wie du den Blick nicht abwenden kannst, abwenden willst. Je westlicher, je mehr Charlottenburg, desto höher die Zigarillodichte, desto mehr versuchen Männer sie auf Lunge zu rauchen. Da sind die großen Fenster, die, die verstärkt von feinen Stahlstreben um die Ecken gehen, du siehst wie in einem vorbeirauschenden Film Menschen in ihren Berufen. Da pflegen sie, da bleiben sie, da schauen auch sie auf den Fluss an Autos, der vor ihren Häusern ihre Wahrnehmung durchstreift. Seltsam einsam stehen sie auf unterschiedlichen Etagen an fast der gleichen Stelle, allein. Schneisen, mehrspurig in die Ortschaft geschlagen, innen wie außen.
Ein Rauschen zu Beginn, Schienen, die zu abstrakten Figuren verschwimmen. Dann Felder und die Weite, die sich vor dir eröffnet, als wäre alles andere nur das Gegenteil einer offen klaffenden Landschaft. Auf der hastig im Halbschlaf beschriebenen Seite eines deiner Skizzenbücher shiny 80’s shit. Darunter, verwischt, the summer that wasn’t, ergänzt durch an all encompassing perspective.
Die Dinge untersuchen, wie sie sind. Sie für gegeben nehmen, wie sie sind. Die Fragen, die über die letzten Monate geblieben sind, annehmen, als das, was sie sind: offen. Vielleicht finden sich Antworten, wenn die Zeit es will.