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M fragt dich, ob du das reflektierend rausschreiben könntest. Nein, sagst du, schließlich schreibst du in solchen Fällen eher in die Kerbe hinein. Ziehen in Kreisen, du kannst noch nicht mal gemein über eine andere Person schreiben, so wirklich will dir das nicht über die Fingerspitzen.
Irgendetwas ist gekippt, so fühlt es sich an. Eine Art Selbsterkenntnis, ein Auf Wiedersehen, ein neues Selbstverständnis. Gewisse Dinge lösen sich ab, das ist so wie bei alten Stickern, die seit Jahren auf Oberflächen kleben, die es erst abzupulen gilt um dann frustriert festzustellen, dass da manches bleiben wird. Um die nun freigewordene Fläche hat die Zeit genagt, wobei, meist eher das Licht und der Gilb und die, die um sie herum gewohnt haben.
Die Schuhe sind zu groß für den relativ feinen Fuß, einen, der einen sehr feinen Knöchel unter dem viel zu weiten Hosensaum erahnen lässt. Immer wieder steht die Ferse viel zu hoch, du kannst beim Gehen auf dem Bahnsteig nicht aufhören auf den Menschen vor dir zu sehen. Überhaupt, der Tunnel unter den Straßen über die die LKW donnern, mal mit Absicht, mal aus der Not heraus; du erwartest, dass bei all dem neuen zusätzlichen Gewicht der neuen Häuser doch irgendetwas anfangen müsste zu wackeln.
Wie der Belag auf der Kreuzung auf halber Länge deiner Straße absackt, immer und immer wieder, wie es die Platten der Gehwege ebenfalls tun. Dann stolpert ein Jemand, meist irgendjemand über die Kanten, nur damit die Platte neu verlegt wird, Sand inklusive, dann kriecht der Regen ebenso hinein wie der Winter und einige Zeit später sackt die gleiche Platte wieder ab, reißt die eine oder andere mit sich und das Spiel beginnt von vorn.
Die Stadt, nein, die Erde, arbeitet also unter allem, mit dem, dem sie ausgesetzt, ausgeliefert ist, bebt gelegentlich vor sich hin. Das kannst du auf verschiedensten Erdbebenwebsites lesen, teilweise kurz nach dem Beben. Ein sich durch Zeit und Raum schieben also, du denkst daran, wie sich der Mittelatlantische Rücken weitet, denkst an deine bei Katzenbuckel hervorstehenden Wirbelfortsätze und Island.
Zu denken, dass irgendetwas so wirklich, so richtig still stehen bleibt, als Wunsch einzelner, der nie erfüllt werden kann. Zu denken, dass es gut ist, nicht still stehen bleiben zu können. Du weißt schon. Das keine Wurzeln schlagen können, das nicht festhalten können. Die Befürchtung sich nicht mehr richtig oder adäquat erinnern zu können. Ist es das? Möglicherweise. Oder aber es ist das Verwachsen einzelner Erinnerungen, das diese nicht unbedingt verfälscht.
Dev & Scan: Foto Labor Service Görner, Dresden
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