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Wo warst du vor exakt zwei Jahren? Schaust du gelegentlich noch durch die Fotos in deiner Mediathek, sind sie weit entfernte Erinnerungen an etwas, was du glaubst verloren zu haben? Was kommt wie wieder? Reflektierst du, was gern wiederkommen, was gern wegbleiben soll?
Du fährst in einem winzigen Shuttlebus zum Flughafen Tegel. An der Einfahrt, durch die du sonst nonchalant mit Taxi und Expressbus durchfahren konntest, Stacheldraht. Die Anzeigetafeln strahlen nichts mehr in den Tag.
Wie viele Menschen hast du hier abgeholt und wie viele zum Gate gebracht? Das Licht, das durch die Spalten im Beton fällt, das Licht, das durch die großen Fenster an den Gates von Terminal A fällt. Staub in der Sonne, der beinahe so aussieht wie Gold.
YACHT - You Fuck Me Up // YACHT - Psychic City (Classixx Remix)
Zwei Schlangen, eine davon so lang wie Terminal C. Ausnahmslos alle freundlich, die Sonne brennt durch die zu dunkle Kleidung hindurch. Manche mit extrem verstörendem Anspruchsdenken, du hörst ungewollt Gesprächen zu. Die meisten klammern sich an ihr Berechtigungsschreiben und ihren Personalausweis, als hätten sie mehr Krallen als Hände, die auch sanft sein können. Temperaturkontrollen, weitere Kontrollen, immer der pinken Linie folgen. Du wartest auf den ersten richtigen Checkpoint. Du sitzt und wartest auf einem Stuhl, über dem eine 5 hängt. Neben dir Plastikbambus, sich fein im Durchzug wiegend. Vor ein paar Jahren frühmorgens und angetrunken, direkt von einem Ausflug nach Dresden zurückgekommen, hast du schonmal hier gesessen, an exakt der gleichen Stelle, als du einen Ex-Partner zum Rückflug nach Skandinavien begleitet hast. Damals war es ein Restaurant. Du musst lachen.
Ab zum Gespräch, das deine Berechtigung abklopft. Sprechen über die ausgedruckten, ausgefüllten, unterschriebenen Anamnese- und Einwilligungsbögen. Dir wird nachträglich zum Geburtstag gratuliert. Das erste Mal seit längerer Zeit kommt dir der Trichter, dass, sollte irgendjemand mal über dich - unwahrscheinlich, aber ok - schreiben, dein Geburtsort mit Dresden, DDR, angegeben werden müsste. Auch wenn du keinen bewussten Bezug dazu über deinen alten Impfausweis hinaus hast, nur die Sozialisierung der Generationen vor dir um dich herum oder die Zusätze auf den Informationen der Rentenversicherung.
Linien auf den Böden, Hände sind wiederholt und oft zu desinfizieren, du beäugst ein paar Piktogramme und ziehst die Augenbrauen hoch. Schlangen. Vor dir ein sehr nervös umherlaufender Mensch, der nicht alleine sein kann. Heranwinken, lächeln mit vollem Gesichtseinsatz, Aufklärungsgespräch, Spritze. Weitere auf den Boden geklebte Führungslinien. Fünfzehn Minuten in einem großen Raum auf Stühlen mit Mindestabstand sitzen. Von Fremden mit Blicken ausgezogen werden wie auf einem verschwitzten Konzert. Betreten und mit augenrollendem Seufzen wegstarren. Neben dir weht wieder ein Plastikbambus im Wind.
Der winzige Shuttlebus bringt dich wieder zurück vor die Tore des früheren Flughafens. Du hörst beim Warten auf den Linienbus unfreiwillig einer älteren Frau dabei zu, wie sie über „die Jugend“ schimpft und zetert und pöbelt: warum solidarisch denen gegenüber sein, mir haben die noch nie was Gutes getan. Ein Mann pflichtet ihr bei, zieht sich hektisch durch drei Zigaretten in kürzester Zeit; ihr Rauch und Geruch zieht dank Windböen in deine Richtung, durch deine Maske. Er lasse sich das Rauchen nicht verbieten, es sei ja nicht schädlich, weil nicht alle deswegen an Lungenkrebs sterben. Du denkst an ihre Rente, anderweitige Generationenverträge, dein Recht auf körperliche Unversehrtheit und bist kurz davor wütend Feuerbälle in deine Maske zu kotzen. Egal, das ist es jetzt auch nicht mehr wert.
Im Volkspark am Weinberg dann ist es so, als wäre alles schon vorbei. Du kannst nicht aufhören mit dem Kopf zu schütteln: du dachtest, alle hätten gelernt aus den letzten Monaten. Dabei sehnst du dich selbst so sehr nach einem Sein ohne Maske, einem mit Reisen, Konzerten, und ein wenig Unvorsichtigkeit, die nicht direkt bestraft wird. Noch ein bisschen durchhalten, noch ein bisschen warten. No one is safe until everyone is safe. Vor einhundert Jahren haben sie es auch geschafft.
Dev & Scan: Foto Labor Service Görner, Dresden
(2007 abgelaufener gecrosster Fujichrome Provia 400F RHP III)
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