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Das nehmen, was man hat, kann und will und darauf aufbauen. Sich schreiben in den Zustand, in dem man sein will, egal, ob man sich traut, sich selbst Schriftsteller zu nennen oder Künstler. Ändert sich etwas an dem, was du machst, abhängig von dem, mit dem du arbeitest? Brauchst du den speziellen Tastenhub, braucht es eine ganz bestimmte Haptik, einen gewissen Klang, Widerstand? Woher kommt all das Repetitive - zumindest hier - das vermeintliche Beiwerk, das auch als Hauptwerk durchgehen kann?
Sich fragen, warum es so oft so viel leichter war, an und mit etwas Mechanischem zu arbeiten, warum die Hand langsamer war als der Kopf. In die Schreibmaschinen gehämmert, die du von Freundinnen deiner Großmutter bekamst sowie von ihr selbst. Schneller und besser als das, was du gewährleisten konntest mit Tinte in Bögen und kleinen Kringeln, die du definitiv so nicht in der Schule gelernt hast zu schreiben. Dann der Sprung von der komplett maschinellen zur elektrischen Seite, die sogar dann weiterschreiben wird, wenn deine Gedanken zwei Sätze oder Zeilen weiter sind als ihr mechanischer Arm. Oder eben ihr elektrischer. Früher sich oft denken, dass die Nachbarn dich wirklich arg hassen müssen.
Du hast dich in die U-Bahnhöfe gesetzt und beobachtet: um Sprache zu vereinfachen oder zumindest das, was du siehst, auf dich wirken lässt, in einfachere Worte zu packen. Heute siehst du, wie Menschen die Worte wieder verdrehen, vielleicht war das immer so, womöglich hast du es vorher nicht so gesehen oder gelesen oder die Videos der Leute waren schlichtweg nicht so sehr in deinem Gesicht wie sie es nun sind.
Sich also wieder die Ruhe nehmen sich hinzusetzen, sich trauen zu beobachten, erstmal ohne jegliche Form der Bewertung etwas passieren zu lassen. Ohne jegliche Form der Bewertung zu schreiben, die Worte in Schubladen packen, auf Seiten schreiben, die du ein paar Monate sein lassen kannst, die irgendwann wieder wollen, wenn du genau weißt, wann dieses "irgendwann" ist. Eben, weil sie wieder zurück in dein Gedächtnis kommen, egal auf welche Art und Weise auch immer. Ein Zurückdenken an den Professor an der UdK, wie man sich auf und in den Gängen begegnen konnte ohne sich zu kennen und wie man doch viel voneinander wusste, schlichtweg, weil es Brotkrumen gibt, die der jeweils andere mal zufällig gefunden hat. Egal wo.
Sich daran abarbeiten, wie es sich mit Impostor Syndrome anfühlt vor anderen zu zeichnen oder zu schreiben, schlichtweg kreativ zu sein oder Kreativprozesse offenzulegen ohne Gewähr, dass am Ende auch wirklich etwas draus wird. Wie andere Menschen, die selbst nicht in die Position kommen, exakt dies zu tun (vor anderen, teilweise vor Fremden, in einem halbgeschützten Raum), oftmals ungefragt eine Wertung abgeben, die es zu einem frühen Zeitpunkt im Schaffen einfach nicht braucht, hat etwas von dem, was Brené Brown mit der Arena-Analogie beschrieb. Es ist immer leichter von außen drauf zu schauen, zu denken, man kann etwas einschätzen, obwohl man in Wahrheit gerade einem Prozess zusieht, der sich noch über Stunden, Tage, Wochen oder viel länger ziehen kann.
Das Erwähnen des Egos (Tweedy, 2020), die Frage, wie man es verschwinden lassen kann. Das Ausschalten des inneren Kritikers oder all der anderen Stimmen, die sich über die Jahre haben ansammeln können. Just write, you can always revise later.
Wie ist es also mit dem Springen zwischen den einzelnen Versionen der Kreativität? Wie sehr stehen sie in Relation zueinander? Wie sehr sammelst du Dinge, die du später in einer Serie zu etwas verarbeitest, das es vorher noch nicht so gegeben hat, mindestens nicht in dieser Form? Du nimmst dir Urlaub von den Sachbüchern, die sich mit Pathologie, Tod und kollektivem Gedächtnis, alternativ kollektivem Vergessen, beschäftigen. Du wünschst dir gelegentlich etwas, was deine Gedanken zu transkribieren vermag, in einer Art, auf die nur du zugreifen kannst. Eine, die es dir deutlich leichter machen würde, all das, was in den Momenten, über die Tweedy schreibt, wenn er vom Prozess und dem Verschwinden in Kombination mit dem ausgeschalteten Ego erzählt, in deinem Kopf relativ klar und teilweise sehr geordnet in Strängen von einer Art Decke hängt, aufzuschreiben. Du musst nur an einem dieser Stränge ziehen können, schon kommt der nächste Satz. Eventuell ist das auch dieser Flow, von dem Mihaly Csikszentmihalyi schrieb, den du selbst kennst aus Begebenheiten, die eine Mischung aus Flow, Routine, richtiger Stimmung, harter Arbeit und Zeit darstellen.
All weather is process.
Nochmal: gibt es einen Unterschied zwischen den einzelnen Medien? Sind andere, Zuschauer, nachgiebiger, wenn es sich um Musik handelt? Entschuldigen sie eine vermeintlich falsch gesetzte Linie mehr als ein fast schon viel zu wuchtig in den Satz gelegtes Wort? Wie sehr verzeihst du dir, dass du zu Beginn noch gar nicht so weit sein kannst wie die, mit deren Werk du dich jetzt schon vergleichst? Nimmst du es als Motivation, als Ansporn, siehst du einen Weg zu dem Level an Können, der dir durchaus Vorbild sein sollte? Trennst du Person und Werk, geht das überhaupt? Welche überromantisierte Vorstellung hast du von der Arbeitsweise dieser Künstler und Künstlerinnen? Welche von dir?
Wie siehst du dir beim Arbeiten zu? Siehst du Lernen, Recherchieren, Ausprobieren als die "Arbeit" an, die es auch ist und wertzuschätzen gilt? Wieso bist du mit anderen Menschen wohlwollender, verzeihender, antreibender als dir selbst gegenüber?
Wie sehr bist du dem Narrativ des "natürlichen Talents ohne jegliche zusätzliche Form von Übung, Praxis, Verbesserung" aufgesessen? Inspiration is rarely the first step, schreibt Tweedy (Tweedy, 2020, S. 19), [it] has to be invited. Die eigene Version von Inspiration in einem Prozess, einer Struktur, oder wie es Herrndorf bezeichnenderweise seinem Blog (und damit seinem posthum veröffentlichten Buch, das aus den Einträgen seines Blogs besteht) als Titel gab: Arbeit und Struktur, verzeichnen, verorten, einordnen. Wenn es aus dem Nichts kommt, fühlt sich Inspiration durchaus auch an wie ein Zwang, jetzt, genau jetzt, ganz dringend den Weg zum nächsten Stift, der nächsten Kamera zu finden, jetzt, genau jetzt, damit zu arbeiten und das Gefühl, man wäre gerade auf einen überlaufenden Kelch voller Ideen gestoßen und darf nichts anderes mehr tun als sich mit eben diesem zu beschäftigen, bis nichts mehr überläuft. An anderen Tagen ist es, als würde ein massiver, noch nicht zerbröckelter Backstein den Kopf treffen, eine Art Wink mit dem Baumstamm.
Wenn da also mindestens ein Mal diese Erfahrung war, scheinbar aufgetaucht aus dem Nichts, wie der möchtest du es selbst, von alleine, wieder schaffen, dass dieses erneut, wie aus dem Nichts, auftaucht? Ist es Stolz auf und wegen Arbeiten, die du im Nachhinein verklärt hast als Blitz der Inspiration und die du nie als das betrachtet hast, was sie sind: die Folge eines kontinuierlichen Prozesses des Lernens, von Anstrengung, Zeitinvestition (Zeit, die andere eventuell stattdessen mit ihren Freunden, ihrem Sozialleben verbracht haben)? Findet sich die Möglichkeit eines Spagats zwischen diesem wohlig eindringlichen Gefühl und der Übung, Wiederholung, die die eigenen Fähigkeiten ausmachen? Wie sehr muss der Kopf drin sein, wie sehr sollte er ausgeschaltet sein?
Kurzum: du hast keinerlei Ambitionen, Songs zu schreiben, du ziehst stattdessen Tips für deine eigene künstlerische Praxis daraus. Du willst wieder in die Gewohnheit kommen, jeden Tag eine gewisse Zeit für deine Arbeiten beiseite zu legen, aus dieser kommt der Fortschritt. Und nächstes Mal wird's dann auch wieder etwas weniger verkopft.
Dev & Scan: Foto Labor Service Görner, Dresden
Bibliographie:
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Lamm, E., Harman, O., & Veigl, S. J. (2020). Before Watson and Crick in 1953 Came Friedrich Miescher in 1869. Genetics, 215(2), 291–296. https://doi.org/10.1534/genetics.120.303195
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