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Plattentektonik IV

Ich wühle mich weiter durch zehn Jahre Filmnegative, das sind also alle davon, einige absolut nicht gelabelt. Meist Farbfilm, meist Kleinbild, selten ISO 3200. Voll ins Schwarze getroffen nach dem zweiten Griff. Kann ich alten Arbeiten den passenden Raum über Archivierungsordner hinaus geben, wenn ich nicht ausnahmslos alles erneut sichte, scanne, bewerte, veröffentliche?
Es gab da früher ein Death to my Hometown, aber ich meinte wirklich eher Suburbia. Sich versöhnen können mit einer Stadt, die sich die Hänge hinaufzieht nach, bei, wegen, dank zweieinhalb Jahren, sechseinhalb Jahre später.

Otha - One of the Girls

Entfremdung ist ein Schwelbrand im Moor. Nicht alle können Glutnester gleich gut sehen.

Kraków Loves Adana - Faces Replaced

Zyklisch komme ich an exakt den gleichen Punkt mit fast exakt gleichem Gedanken. Ich hinterfrage, warum ich für Plattformen, die mir nicht gehören, täglich kostenlos Arbeit leisten, Inhalte gestalten und zeitgleich meine Stimmung potentiell in den Keller rasseln lassen soll. Wiederholt kann ich mich selbst zitieren. "Dann aber: dass man in dem Dilemma steckt, dass man als Künstler nur sichtbar ist, wenn Andere deine Arbeiten sehen. Das Dilemma, dass man nicht nur die eigene Arbeit ist sondern diese eine Ebene von einem darstellt - und nur das."

Das Medium, auf dem ich mich mitteile, ist meist nur Mittel zum Zweck, bestimmt schließlich jedoch potentiell zu viel durch seine Form. Zu Beginn gut zum Austauschen mit und Kennenlernen von Menschen hunderte Kilometer entfernt von mir (oder zwei Straßenecken weiter), sind soziale Netzwerke später und jetzt impliziertes FOMO, Dopaminkicks und Disconnect. Das Internet muss im Kontext von historisch-kritischen Ausgaben ein Albtraum sein.

Ich will, dass die von mir selbst geschaffenen und gestalteten Räume die sind, in denen meine Hauptarbeit sichtbar ist, ich will mich nicht weiter abhängig machen müssen von einem Algorithmus, der qua Konzeption biased ist. Lachen über die kleinen Dinge und Zeichnungen, hinterlassen als Notizzettel in den Bibliotheksbüchern, durch die ich mich gerade arbeite. Irgendjemand sagte mal du willst doch nur gefunden werden und ich musste nicken und dann hinterfragen, ob es etwas anderes ist, wenn ich in meiner Lieblingsbuchhandlung vor einer Wand aus Buchrücken stehe und ein mir fremdes Buch aussuche, dessen Inhalt ich unmöglich kennen kann. Ist das nicht etwas, das versucht werden kann mit den kleinen Nischen, die ich ausfüllen möchte, egal ob beruflich oder zum Vergnügen?

Ich denke an die Leben - Kunst - Lebenskunst Vorlesungsreihe von Professor Porombka, die ich mir an der UdK angehört habe. Frage mich, wo und wie künstlerische Praxis beginnt, wo sie endet und wieso sich manche früher sehr künstlerisch tätige Menschen von ihr entfernen - sofern das überhaupt so richtig nachhaltig möglich ist. Der Kreis schließt sich wieder zum Gedanken an das nicht leben wollen im Traditionellen, Konventionellen. Wie gesagt: zyklisch komme ich an exakt den gleichen Punkt mit fast exakt gleichem Gedanken.

The Kills - Goodnight Bad Morning

Lesen und Gehen und das Erzählen vom Tag. Aus der Literatur gelernt, ebenso wie aus früheren Krisen, Aufsätzen, dem Studium Generale. Wie du dich durch den Alltag bewegst, sagt mir genauso viel über dich wie deine Reaktionen auf die traurigsten und dramatischsten Dinge. Wie fühlt sich an, was dir gefällt?
Ist das der Moment, an dem du merkst, was das Eigentliche ausmacht? Hast du deshalb aufgehört? Hast du dir gedacht, dass es nichts mehr zu erzählen, zu sagen, zu singen, zu beschreiben gibt? Musst du denn so dringend ein Fontane sein oder deine Sätze so langgezogen wie in den Buddenbrooks?
Was ist erzählenswert? Was ist das, was du in Büchern liest? Ist es wirklich nur das Besondere, das mit den Ver- und Zerwürfnissen, ist es das Klischee, das sich durch die Feuilletons und überhypten Romane zieht? Entwickeln sich diese Romane ähnlich schnell zu Trivialliteratur wie die Bücher der Schriftsteller, die in den frühen 1900er Jahren mit dem Literaturnobelpreis bedacht wurden?

Und ist vor dem, was du liest, nicht ebenso ein Filter? Woher die Überzeugung, dass das Alltägliche nicht erzählenswert, teilenswert ist? Was erzählst du sonst deinen Freunden? Hält euch nur Drama zusammen und kennen sie dich ohne dieses überhaupt? Sind die Katastrophen deines Lebens das, was du als erzählenswert betrachtest? Oder geht es nicht vor allem darum, was du wie siehst und ist nicht das erst recht erzählenswert?

Mattiel - Keep The Change

Das Telefon vibriert, all das kenne ich schon. Ich beginne laut zu lachen, gehe duschen und sehe dabei dem Schatten des Laubs auf der Hauswand gegenüber beim Tanzen zu. Auf dem Fensterbrett schiebt sich ein neues Blatt aus dem alten Blattstiel. Man kann sehen, dass es wiederum schon ein neues auf dem Rücken trägt.
Eventuell ist das immer so und manche gefangen in einer Repeat 1 Schleife. Ich treffe Menschen lieber dort, wo sie gerade sind. Innen wie außen. Mehr als anbieten kann man es nicht.

Two Door Cinema Club - What You Know

Lektüre:

Johnson, Uwe. Mutmassungen über Jakob. Edition suhrkamp 1818, Suhrkamp, 1959, doi:9783518118184.
Rippon, Gina. The Gendered Brain: The New Neuroscience That Shatters the Myth of the Female Brain. The Bodley Head, 2019, doi:9781847924766.
Silbernagl, Stefan, and Florian Lang. Taschenatlas Pathophysiologie. 6th ed., Georg Thieme Verlag, 2020, doi:9783132429130.