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Seit Wochen drücke ich mich vor den meisten dieser Worte, scheue mich vor einem Teilen dieser. Habe zu Beginn zu oft Zahlen aufgeschrieben, mich über die Unbeschwertheit einiger gewundert, dann aufgeregt. Dann die Sorge. Dann - noch vor Plattentektonik I - ein Nachhaken bei vielen, ein „pass gut auf dich auf“ und der Wunsch, einander trotzdem sehr bald wiederzusehen, den ich nicht geäußert habe. Ich konnte es einfach nicht. Morgen, danach, sehr bald, endlich, jetzt kann nicht früh genug kommen, vor allem, weil ich nicht weiß, wann ein Morgen uneingeschränkt ist.
Es finden sich kleine Videoausschnitte der Stadt in meiner Mediathek, die wieder verworfen werden. Ich denke an Menschen, nur bringt ihnen das auch nicht viel. Stattdessen fange ich langsam an zu schreiben. Höre auf, weltweite Zahlen oder die meiner früheren Orte anzusehen, Lungen(-bläschen) zu zeichnen oder Nachrichten zu bingen als wäre es eine neue Staffel Bosch. Es geht nach oben, da sind ein paar Hügel, da sind kleine Tiefs, die ich gut regulieren kann. Früher hätte ich mich in ein Ohnmachtsgefühl geworfen, schlichtweg, weil ich es nicht anders kannte. Heute gestalte ich aktiv den Zugang zu mir, lasse das hinein, was mir gut tut und mich anregt und bleibe trotzdem informiert. Ich kann mich ob meiner Umstände glücklich schätzen, egal, welche Bereiche genau es betrifft.
Nun. Man muss sich eher Sorgen machen, wenn ich meine Sprache verliere als bei irgendetwas anderem, das ich eventuell nicht mehr tue. Als wäre der Mittelatlantische Rücken in mir, als würde er in mir mehr als 2,5cm pro Jahr wachsen. Es geht weiter mit dem Schreiben, ich habe mich innerlich wieder aufgerichtet.
Massive Attack & Young Fathers - Voodoo In My Blood




Plattentektonik II
Über den Kurven 3376 und 3379 steht ein Blutmond auf dem Rand des Tempelhofer Felds, die Brise weht deutlicher, als ich es erwartet hatte. In die Dämmerung strahlen Leuchtreklamen, an denen niemand vorbeifährt. Der Himmel über Berlin in übertrieben beißenden Farben, beinahe so intensiv wie die an richtig kalten Januarabenden.
Diese Wohnung und wie ich mit ihr die Jahreszeiten sehen kann, mag ich. Wie die Sonne immer höher über das Dach des gegenüberliegenden Hauses kriecht und dadurch Licht in Ecken bringt, die viel zu lange dunkel geblieben sind. Wie es an der Wand mit den teilweise offenliegenden Teilen von Trockengipsplatten entlangstreicht. Wie Schatten der Blätter der Pflanzen über die Rücken meiner Anatomieatlanten und Platten streichen. Holy Fire und wie es so wirklich brennt. Wie es mich wundert, dass das Grün im Zimmer schon so lange lebt, wie früher beinahe alles nach kurzer Zeit dahinstarb. Wie ich noch immer in einem Haus leben will, das auch von mir erzählen möchte.
// Stell dir das mal vor, dieses Absolute. Stell dir mal vor, wie es dich anschauen könnte, dieses Menschliche. Nicht die passenden Ausdrücke finden können für die richtige Situation. Bist du manchmal um Sprache verlegen? Ist da stattdessen ein Beat?
Kommt bei dir tendenziell eher etwas dazu? Fügst du hinzu? Bist du eine Kintsugi-Schale? Hast du aufgehört und wenn ja, womit? Ärgerst du dich darüber? Kribbelt es noch gelegentlich in deinen Fingern? Ist es wie ein Rauschen, ein inneres Antreiben, wie der erste Tritt in die Pedale im Frühling?
Was gibt dir Halt wie einer dieser an der Stange hängenden Griffe im Bus, in der U-Bahn und der Tram? Trinkst du gerade zu viel oder versuchst du, dein Gehirn mit anderen Drogen auszutricksen? Was gibt dir exakt genau jetzt Halt, was erdet dich, was ist deine Konstante? Ja, die in dir drin, die, die dich nicht verlassen wird, die, die immer da ist - deshalb auch Konstante - und mal lauter, mal leiser in dir an deine Tür klopft. Welche Zitate kommen dir in den Sinn? Womit lenkst du dich ab? Suchst du jetzt erst recht nach Bestätigung von außen? //
Dann stehe ich in Gedanken wieder Mitte Dezember an dieser Bushaltestelle in Tiergarten-Süd. Ich beobachte meinen Atem vor mir, vor ein paar Tagen noch Hoffnung und der große dunkle dreckige träge Fluss und gleichzeitig die Angst, die hochkriecht. Wie ich Angst hatte davor, dass manche sterben werden wegen Fahrlässigkeit, Class Politics, Überheblichkeit. Wie bis jetzt zu viele gestorben sind wegen Fahrlässigkeit, Class Politics, Überheblichkeit. Wie ich wie damals in die Nacht hinein weine, still, ganz leise, zu denselben Zeilen. I stand weeping at the train station 'cause I can see your faces.


// Was hält deine Erinnerungen zusammen? //
Wie sehr wir alle darauf angewiesen sind, dass die Dinge funktionieren, im besten Fall so wie wir es wollen. Ein Gedanke, der sich in Abständen in meinen Kopf schleicht. Meist aus Ver- und Bewunderung, wenn ich etwas an sich sehr fragilem dabei zusehe, wie es funktioniert. Momentan aus Ernüchterung.
Da sind die Rücken und Schultern und Hände von Fremden und Bekannten, da trägt sich, da zerbröselt etwas oder wiegt so schwer wie eine ganze Kiesgrube. Da trägt man manches gemeinsam.
Hallo, Geburtsmonat. Ich habe dich schon vor ein paar Tagen riechen können. Schwer in den Büschen voller Flieder, etwas träge bei den durch die Gegend fliegenden Pollen. Du hast schon Pirouetten gedreht, da am Eingang der U-Bahnstation, über den ich in den letzten Jahren viel zu viel und zu oft geschrieben habe. Du erinnerst mich an dieses kleine Gefühl, das sich einstellt, wenn etwas beginnt, sich ausbreitet. Vielleicht habe ich zu häufig Yoga gemacht am Morgen und am Abend, die Brust dort geöffnet und dabei meinen Brustkorb knacken gehört.
Du bist in den Wegen, wie Menschen schön sein können, wenn sie nicht wissen, wie schön sie sind. Nicht, weil sie konventionell und nach irgendwelchen Standards als schön gelten, sondern weil sie sind. Ich kann sehr zufrieden mit der Art sein, wie ich bin, wenn ich mein Spiegelbild betrachte und dem Spiegelbild trotzdem keine übersteigerte Bedeutung zuweisen. Das Finden von einem selbst in dem, was das Gegenüber einem spiegelt. Nicht mehr ganz Frühling sein und noch kein richtiger Sommer.
Ausstreckende Hände, Handflächen, die sich entfalten wie die Rose von Jericho bei Wässerung. Aus Krallen und Klauen werden feine Instrumente, mit denen sich etwas nachzeichnen lassen kann.
Da waren irgendwann vor langer Zeit Männerhände, die über meinen nackten Rücken fuhren, sich wunderten, wie dieser und der Hals so lang sein können. Da waren generell Hände, die sich um meine Taille gelegt haben um sich auf dem darüber liegenden Stoff zu fragen, ob sich die Fingerkuppen ihrer linken und rechten Hand beim Greifen um mich treffen. Da habe ich ihre Fragen gehört und verstanden und sie trotzdem nicht beantworten können. Wie sich mein Körper eben in die Proportionen legt, nicht besser oder schlechter als ein anderer. Da habe ich an meinen Schlüsselbeinen neue Konstellationen aus alten Windpockennarben und neu geformten Leberflecken entdeckt, da bereiten mir ein paar gewisse Muttermale auf den Schulterblättern Sorgen.



Ich sehe fast jeden Abend eine Person aus meinem Freundeskreis im Videochat, oft machen wir dann Screenshots, gelegentlich kochen wir, vorrangig lache ich viel. Den Druck als Kreative kreativ sein zu müssen, egal, was um mich herum passiert, spüre ich ebenso wie manche von ihnen. Was das mit mir macht, weiß ich noch nicht genau.
An SchriftstellerInnen hat mich schon immer mehr fasziniert, wie gut sie beobachten, was sie sehen und was sie davon aufschreiben, nicht zwingend, was für Geschichten sie konstruieren. Christa Wolf habe ich wegen ihrer sprachlich verdichteten Form der Einsamkeit geschätzt (siehe Kein Ort. Nirgends oder Nachdenken über Christa T.), Christoph Hein wegen seines Darstellens eines inneren Erstickens bei äußerlicher Unbewegtheit (siehe Der fremde Freund / Drachenblut), Sibylle Berg wegen der Offenheit, die fast schon eine Brutalität sein kann (siehe Vielen Dank für das Leben oder GRM: Brainfuck). Daraus resultierte, dass ich meine Form eines „Berlin-Romans“ schreiben wollte. Ich dachte, es braucht große Gesten und Charaktere, die für eine besondere Zeit stehen. Ich dachte, ich muss tief eintauchen in Milieus, mir Stereotypen herausarbeiten, ein gewisses Stadtgefühl in Klischees packen.
Mir fällt mittlerweile auf, dass ich exakt nichts davon machen muss. Die Städte schreiben sich zumeist selbst, beschreiben reicht aus. Alle fallen gelegentlich in Klischees, auch ich habe mich durch Nächte getanzt, passe an sich ganz gut in den Stereotyp einer Kreativen. Auch ich will lieben und geliebt werden und auch ich falle dabei gelegentlich mit dem Gesicht auf den Asphalt. Muss das nochmal schriftstellerisch durchgekaut werden, überzogen und klischeebeladen? Wo fängt das Triviale an, wo hört das Treibende auf? Ich will nicht so seicht sein oder Konstrukte vorgeblich seichter Menschen beschreiben wie manche in Pastell.
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