Achtzehnter Juli

U8 Hermannstraße, 12:10
In der Gruppe reden sie davon, dass es „Anti-Schwitz-Tabletten“ gibt und sie mal den einen fragen wollen, der immer nach Polen fährt, ob er ihnen welche mitbringt. Ich denke an die „Leber-Tabletten“ von T und dass ich ihn das nächste Mal wohl erst in Frankfurt wiedersehe, den Abschied habe ich verpasst.

VHS Neukölln, 12:20
„It‘s Raining Men“ in der Gerri Halliwell Version beim Sicherheitsmann an der Eingangstür in Schleife; der Hall von verqueren Geräuschen, die ich von meinem Gymnasium noch kenne. Flip Flops kündigen sich am durchdringendsten an. Ich höre Cs gutgelauntes Pfeifen aus einiger Entfernung.

Neunzehnter Juli

U Kurfürstendamm, 15:12
J sagt ich sei „a small human“ und ich überlege, wie in welchem Shirt ich das verorten kann. Ich weiß, dass er über verschiedene Arten von Kleidung redet und dann kommt der eine Tätowierer in den Sinn - „you have very delicate skin“. Heute morgen beim mich selbst anstarren in der Dusche war ich mir nicht mehr ganz so sicher, wie weich ich sein möchte, aber genau dafür habe ich auch vor Monaten den Spiegel in die Dusche gestellt.

Einundzwanzigster Juli

S+U Zoologischer Garten, 16:55
Eine Frau mit Gehhilfen an jedem Unterarm klettert in den Baustellengraben zwischen den Fahrbahnen, an jedem der Plastikgriffe hängt ein Beutel voller Brotkrumen, in Würfel geschnitten. Sie wirft den Inhalt einer Tüte in die Menge an Tauben, die sich jetzt schon um sie geschart hat und ruft laut „meine Kinder“ während sich die Touristen nach ihr umdrehen. Bei ihrem Versuch wieder auf die Fahrbahn zu klettern frage ich mich, wie sie es geschafft hat, überhaupt hinunterzukommen.

Zweiundzwanzigster Juli

Potsdamer Straße, 09:00
Als wäre hier nie jemand gewesen, also fast, vielleicht, außer den Menschen, die noch oder schon wieder darauf warten, dass Burger King öffnet.
Eventuell sollte ich endlich wieder mit dem Laufen anfangen.

Schlossbrücke, 09:40
Ich habe noch nie so viele Menschen in Charlottenburg gesehen.

Spreedampfer, irgendwo vor Moabit, 10:25
Die Rentnergruppen trinken schon jetzt das harte Zeug. Steinmeier ist zu Hause.

Tiergarten-Süd, 18:12
Das ist wohl ein Sonnenstich.

Dreiundzwanzigster Juli

U Kottbusser Tor, 09:50
Die Frau vom Blumenladen unterhält sich mit mir über das Preis-Leistungs-Verhältnis großer Blumensträuße. Sie sagt, sie freut sich, wann auch immer sie mich sieht.

Tempelhofer Feld, 11:35
Ein Mann sitzt auf einer Holzbank direkt hinter E und mir und muss wohl nichts anderes machen können als zuhören. Dann gießt er Sonnenblumen. Ich will gerade nicht weg aus Berlin.

Schlesischer Busch, 14:30
C wird von einem Mann angesprochen, sie würden sich doch kennen. Von der-und-der-Straße von damals, von vor Jahren. Ein anderer Mann starrt mir sehr eindringlich auf und in den Ausschnitt.

Schlesische Straße, 17:15
Das Telefon von C heißt Frank. Auf dem Streifen aus dem Fotoautomaten sehen wir aus wie schlecht gelaunte Schauspieler aus den 1920ern. Ein weiteres Relikt für die Reihe „Freunde in 4er-Anordnung“.

Potsdamer Straße, 20:32
Ein Eichhörnchen ist im Schaufenster vom Second Hand Laden gefangen und läuft panisch von der einen Seite der Scheibe zur anderen. Touristen scharen sich um die Ladenfront um Videos von ihm zu machen.
Habe das Gefühl, meine Beine leuchten bestimmt auch im Dunklen. Frage mich, wieso ich mich so sehr mit Issues beschäftige, die nicht meine sind.

Benedict, 21:13
Mein Tag besteht nur aus Essen und Gesprächen, in die sich manches immer wieder einwebt, als wäre es eine Form von Loop oder Sample. Ich hinterfrage, wieso ich mehr treibenden Beat habe als der eigentlich fragende Counterpart.
Statt Pancakes bestelle ich Bratkartoffeln und Spinat; bin bestimmt kaputtgegangen. G sagt, dass wohl niemand seine eigene Nase mag. Sie erkennt mich auf Bildern von mir von vor elf Jahren kaum. Erkenne mich selbst kaum. Ich denke an A.

U Spichernstraße, 23:00
Ein Mann läuft auf G und mich zu, schaut uns an, läuft vorbei und lacht. Er wirkt verwirrt und trotzdem werde ich extrem self-aware. Ich denke an den Mann, der mich an der Klosterstraße in Richtung Gleisbett stoßen wollte kurz bevor die U-Bahn einfuhr; ich nehme an, die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt.

Vierundzwanzigster Juli

Tiergarten-Süd, 16:12
Schaue Interviews und Features zum Brexit-Fuckup und werde wieder wütend. Spätestens seit der letzten Wahl will ich mich in meinen Grafiken politisch äußern, werde aber jedes Mal noch zu sauer. Heute klappt es auch nicht. Ich zeichne stattdessen Blutgefäße und einen Querschnitt vom Ischiasnerv.

Tiergarten-Süd, 17:00
Der Mann, der jeden Tag Rotwein unterm Kastanienbaum an der Ecke trinkt, hat den Weg zum Sekt gefunden. Zwei Flaschen und ein Salat stehen neben ihm auf der Bank.

U Wittenbergplatz, 20:38
Eine Frau isst ihren Döner und lässt all dessen Fleisch aus ihrem Mund vor mir auf den Boden fallen. Weinende Kinder neben Fahrkartenautomaten. An der nächsten Bank desinfiziert sich eine ältere Dame sehr fokussiert die Hände. Jemand starrt mir auf die Füße.

Fünfundzwanzigster Juli

Späti Eberswalder, 11:55
Klassik auf 75% Lautstärke, der Verkäufer und ich brüllen uns an um uns zu verstehen, sind aber trotzdem extrem entspannt.

Sredzkistraße, 13:15
Haare eingepackt wie ein Paket und das schlechte Gewissen, weil man viel zu selten da ist. LaChapelle, Seite 1: „I once was lost“. M umarmt mich am Ende sehr lange.

U Kottbusser Tor, 14:13
Kurve 2327, unten an der U8 wie immer leere Diazepam-Blister, dieser Zug hat Verspätung. Ich habe das erste Mal etwas für Berlin geplant, was über Oktober hinausgeht.
Ich frage mich, ab wann man handeln muss. Und wieso man es dann doch nicht tut.
Der große, fast schon übertrainierte Mann trägt ein sehr kleines Shirt mit dem Aufdruck „low expectations, high hopes“. Ich glaube, das Reparaturklebeband der U-Bahn-Sitze hat sich in meinen Hintern eingebrannt, Ü50 Menschen fangen Pokémon.

Tiergarten-Süd, 18:00
Habe dunkle Streifen um meine Knöchel, das muss ein wenig Bräune sein; das ist mehr als alle Jahre zusammen. Baklawa vom libanesischen Feinkostladen und „She has her Mother‘s Laugh“.
Frage nebenbei Siri, eine Münze zu werfen, um eine Entscheidung zu treffen. Die Münze entscheidet sich aber immer dafür, nie dagegen.

"say it how I'm feeling
ain't easy"
(Jungle - Time)