Du hast dir Zeit gelassen, denke ich, ich stehe seit ein paar Minuten am Bordstein der Straße, in der die Busse gelegentlich in Kolonnen kommen. Um die Ecke eine Straße, die den Namen meines Geburtsortes trägt. Bist du verwebt in die Textur des Wissens, das du dir hast aneignen müssen seit deiner Geburt, wo fangen die Versatzstücke an, hast du Sollbruchstellen? Wo beginnen deine intertextuellen Bezüge, gibt es da etwas, das größer ist als alles, was du hättest werden wollen?
Vielleicht habe ich von etwas erzählt, aus Versehen, etwas, an das ich mich selbst nicht erinnern kann und will; 256 Varianten von allem. Momente, in denen die Stadt mir näher ist, als ich es gebrauchen kann. War das fahrlässig? Das Paar, das zu einem schief singenden älteren Herren über den leeren Columbiadamm tanzt, Menschen, die sich um die Hälse fallen. Ich laufe jede Rolltreppe sehr schnell hoch, fast so als wäre ich eine Fata Morgana gewesen.

Beim Fotofachhändler meines erzwungenen Vertrauens hassen sie mich, die Alte Schönhauser Straße mag ich nur bei Regen und untergehender Sonne. Hedwig, nicht zu weit entfernt, thront in Ruhe zwischen den Häusern, gelegentlich kann man noch die Synagoge sehen. Das Haus mit den Einschusslöchern, das am Zugang zur Kirche, verlangt nach meiner Berührung. Ich verlange ebenso nach Berührung. In der S-Bahn riecht es noch wie vor drei Jahren.

Vielleicht bist du aber wie eine Pipette, lernst, alles in dir aufzunehmen. Vereinzelte Glanzmomente und dann doch die Prognose von Herrndorf, die dich auch damals schon getroffen hat. Du stellst dir vor, wie er in der Klinik am CCM in seinem Pinguinkostüm sitzt und wartet. Um ihn herum alles still.
Lese mich dementsprechend ein paar Tage später durch die verschiedenen Neoplasien des Körpers und deren WHO-Klassifikation. Ich bekomme den Kopf nicht frei. Hier bauen sie Weihnachtsbäume auf, etwas schief, etwas off-centre. Für mehr Herzlichkeit, für ein Rückbesinnen auf sich selbst, ich mag es nicht, wenn ich zu aufgeregt bin.

Ich beobachte zwischendrin den Fluss der Menschen auf der Straße an dem Bordstein, auf dem ich gerade noch stand, mir ist kalt. Ein bisschen versagt mir die Stimme und ich stelle lieber Fragen. Schon Hölderlin warnte davor, dass man auch in die Höhe fallen kann, ich rieche dein Waschmittel, in dir drin scheinbar auch ein stetes Beben.

"oh you think so much and live so little"
(Kraków Loves Adana - American Boy)