In dem Haus, da am Fluss, da in der Nähe der früheren Mauer, der Grenze, da am jetzigen Hauptbahnhof, in dem Haus, das aussieht wie eine Reise nach Hogwarts, wie eine Reise in dieses andere ähnlich dreinschauende Gebäude auf dem Campus der TU Dresden: Stille. Organe und Fehlbildungen und Krankheiten in Glasbehältern, in Aufbewahrungslösung. Ich lerne: es gab ein Spürwildschwein bei der Polizei, ich denke: dann kann auch ich alles sein.

So langsam wissen, welche Orte gemieden, vermieden werden müssen, an welche man ganz dringend gehen muss. Es treibt mich immer stärker wieder in die Arme von Bahnhöfen, früher verflucht, weil kalt und widerlich, jetzt wie in der anderen Hauptstadt an einem anderen dreckigen Fluss: verweilen um die Sehnsucht zu stillen nach Orten und Geräuschen, die nicht hier sind. An Bahnhöfen fragt niemand, wieso man da ist, man kann sehr lange alleine auf Bänken sitzen, Menschen zusehen, wie sie rennen, wie sie sich begrüßen, wie sie sich verabschieden, Sonntags einkaufen, man könnte sie zeichnen, man kann kathedralenartige Architektur verfluchen, kann Musik hören, der Bundespolizei beim Patrouillieren zusehen, man muss kein Ziel haben, man kann Fernweh haben oder Heimweh, je nachdem, wie sehr man den Ort schätzt, an dem man ist.
Am Ende aber, glaube ich, war das dieser eine Blick, vermutlich dieser eine Blick, der in meiner Erinnerung so langsam beginnt zu verblassen, weil ich nicht genau weiß, was dieser Blick mir sagen will. Ich habe noch immer nicht gefragt, ich nehme an, es ist sowieso zu spät dafür.

Zumindest gehe ich alleine vor die Tür. Als hätte ich wochenlang niemanden gesehen, eigentlich habe ich wochenlang niemanden gesehen, aber der Kopf muss frei werden.

Dann laufe ich in ihn hinein und am Ende laufe ich an ihm vorbei. Ein Seufzen entwischt mir unter der lauten Klimaanlage neben den zugigen Fenstern. Es ist alles gut, es riecht ein wenig nach Staub, ich bin noch nicht einmal traurig. Da war auch nichts.

Am Eingang der Dauerausstellung höre ich zwei Frauen laut reden. Sie sitzen auf einem vereinfachten Modell eines Anatomischen Theaters.
“But did you break his heart?”
“Yes, I did, he was so… claustrophobic around me. He would make me feel guilty about doing things without him.”
“Did you love him?”
“Why would I feel bad about it if I didn’t?”
Ich kann sie noch immer hören, da, vor den historischen Gerätschaften früherer Augenärzte, auch noch kurz vor der Hörsaalruine, in der sie Stühle umräumen und bei denen ich mich frage, wieso sie sie unbedingt in einem Sitzkreis arrangieren wollen.

Manche fahren über meine Freunde hinweg wie LKW, halten danach gelegentlich an und schauen sich um. Manche fahren einfach weiter. Die Angst davor, selbst auch wieder überfahren zu werden und die Erkenntnis, dass ich nur begrenzt etwas dagegen tun kann.

(Lea Porcelain - Warsaw Street)